Der wunderbare Massenselbstmord
Stück für Stück und mit der Zeit.
Die Gruppe badete im nahen See. Dann wurde ein Feldfrühstück vor dem Zelt eingenommen. Helena Puusaari und Rauno Korpela erschienen ebenfalls. Die Pädagogin sah recht mitgenommen aus und mied den Blick des Oberst. Es war für sie eine Überraschung, ebenso wie auch für Korpela, dass man in Juva gelandet war. Korpela erkundigte sich, ob er möglicherweise durch Mikkeli gefahren sei. Niemand erinnerte sich, in der Nacht die Stadt gesehen zu haben, auch nicht der Oberst. Vielleicht war man über Nebenstraßen durch Ristiina und Anttola gefahren, wer weiß.
Als die Mitglieder der Gruppe auf den Rübenacker ge gangen waren, erkundigte sich Helena Puusaari beim Oberst, was in der Nacht geschehen war. Sie war er leichtert, als sie hörte, dass der Oberst sie in den Bus getragen und auf eine Bank gebettet hatte.
»Ich erinnere mich nämlich an nichts… man sollte eben nicht so viel trinken. Habe ich mich unsittlich aufgeführt?«
Der Oberst versicherte, dass sie sich korrekt benom men habe. Er bot ihr den Arm und führte sie zum Mor genbad ans seerosenbewachsene Ufer des nahen Ge wässers.
Die Selbstmörder blieben drei Tage im Dorf. Tagsüber verzogen sie Rüben und aßen die von Bäuerin Kati Jääskeläinen gezauberten Würstchen mit Soße und Kartoffelbrei. Abends saßen sie am See um das Lager feuer und führten Therapiegespräche.
Das gesunde Landleben gefiel ihnen. Sie hätten es auch noch länger auf Jääskeläinens Hof ausgehalten, aber der Rübenacker bot nur für drei Tage Arbeit.
Beim Abschied sagte Urho Jääskeläinen, der vom Rei seziel seiner Hilfskräfte erfahren und sich mit ihnen angefreundet hatte, wehmütig:
»Ich würde am liebsten auch mitkommen und mich am Nordkap umbringen… bloß, im Sommer hat der Landwirt nun mal am meisten Arbeit. Ich kann nicht weg. Aber wie wär’s, wenn ihr die Bäuerin mitnehmt? Ich kann sie entbehren und hätte nichts dagegen, wenn sie alles mitmacht, was ihr vorhabt.«
Der Oberst billigte Urhos Vorschlag jedoch nicht. Frau Jääskeläinen zeigte nach seiner Auffassung keine selbstzerstörerischen Neigungen, sodass sie zwangsläu fig eine Außenstehende auf der Fahrt in den Norden wäre. Außerdem konnte er sich nicht für ihre Rückfahrt verbürgen.
»Dann eben nicht… ich wollt’s wenigstens anbieten«, meinte Urho Jääskeläinen enttäuscht.
Die Gruppe stieg in den Bus, und Korpela lenkte ihn in Richtung Savonlinna. Dort sollte der Eigentümer und Reeder der MS Varistaipale einsteigen, falls er weiter an Selbstmord interessiert war. Und da man einmal in Savo war, konnte man gleich bei ein paar anderen Adressen vorbeischauen, die man den Mappen entnommen hatte. Im Bus war noch jede Menge Platz.
Helena Puusaari schlug vor, in Savonlinna einen Blumenladen aufzusuchen, einen Kranz zu bestellen und diesen nach Kotka zum Grab des verstorbenen Jari Kosunen zu schicken. Ob der erste Tote der Gruppe wohl schon beerdigt war?
Sie begannen, Erkundigungen einzuziehen. Zum Glück gab es im Bus ein Funktelefon. Rellonen rief mehrere Nummern in Kotka an und bekam heraus, dass Jari Kosunen am kommenden Dienstag, also in zwei Tagen, beerdigt würde. Die Beerdigung sollte in aller Stille auf Kotkas neuem Friedhof stattfinden. Jaris Mutter hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten, als sie vom Schicksal ihres Sohnes gehört hatte, und wurde in der Nervenklinik behandelt. An der Beerdigung ihres Sohnes durfte sie vielleicht teilnehmen. Es war der Amtsschreiber der evangelisch-lutherischen Kirchge meinde, der diese Informationen gab. Jari würde auf Kosten der Kommune bestattet werden, denn die Mutter hatte kein Geld, und andere nahe Angehörige gab es nicht. Der junge Mann hatte mit seiner Mutter in einer Zweizimmer-Mietwohnung am Stadtrand gewohnt. Alles, was er bei seinen Gelegenheitsjobs verdient hatte, hatte er für den Bau von Modellflugzeugen und Drachen ausgegeben, wusste der Beamte noch zu berichten. Jari war im Ort als Luftfahrtnarr bekannt gewesen.
Der Oberst schlug vor, dass die Gruppe geschlossen nach Kotka fuhr und an Jaris Beerdigung teilnahm. Es gehörte sich, dass man dem Schicksalsgefährten, der gleichsam der Wegbereiter für alle war, das letzte Geleit gab.
Die Archivmappe ergab, dass in Kymenlaakso noch mindestens zwei Personen mit Selbstmordabsichten lebten. Man könnte sie bei der Gelegenheit aufsuchen und notfalls mit auf die Reise in den Norden nehmen.
15
In einem Eigenheim am Stadtrand
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