Der wunderbare Massenselbstmord
von Savonlinna bezog die Hauswirtschaftslehrerin Elsa Taavitsainen Prügel. Der Täter war ihr eifersüchtiger und paranoider Ehe mann, der Elektriker Paavo Taavitsainen. Elsa war mit blauen Flecken übersät und hatte am Kopf eine schmer zende Beule. Sie war auf dem Fußboden im Flur zu sammengebrochen und weinte haltlos. Das Ehepaar hatte zwei Kinder im Pubertätsalter, einen Sohn und eine Tochter. Die Tochter saß steif aufgerichtet im Schlafzimmer auf dem Bett und zuckte jedes Mal zu sammen, wenn die Mutter im Flur unter einem Schlag aufschrie. Der Junge saß im Wohnzimmer und kicherte nervös. Er naschte heimlich aus der Bierdose seines Vaters.
Die Misshandlung gehörte zur Wochenroutine in der Familie. Objekt war immer die Mutter, die zum Sünden bock der Familie degradiert worden war. Elsa machte nichts richtig. Sie war schlampig, vergesslich, manns toll, verschwenderisch, unsauber und kochte nicht anständig, obwohl sie Hauswirtschaftslehrerin war. Elsa war hässlich. Sie stank. Sie war faul. Sie konnte die Kinder nicht richtig erziehen. Im Ehebett war sie kalt. Sie hatte das Leben ihres Mannes und der Familie ver dorben. Sie war in jeder Hinsicht unmöglich.
Wenn Elsa versuchte, sich zu verteidigen, hatte das neue Wutanfälle und noch schlimmere Gewaltausbrüche ihres Mannes zur Folge. Wenn sie sich mit ihrer Rolle als Sklavin der Familie begnügte, half das auch nichts. Was sie auch tat, immer folgte eine Bestrafung.
Elsa Taavitsainen war erst fünfunddreißig, sah aber wie eine alte Frau aus. Sie war grenzenlos müde und kaputt. Sie hatte die Hoffnung aufgegeben. Die Zukunft erschien ihr in schrecklichem Licht. Sie konnte nachts nicht schlafen, auch dann nicht, wenn sie keine Prügel bekommen hatte.
Nach Mittsommer hatte Elsa in der Zeitung zwischen den Todesanzeigen eine Botschaft gefunden, die sie berührt hatte. »Denkst du an Selbstmord?«, war dort gefragt worden. Wer hatte mehr Grund als sie, mit Ja darauf zu antworten. Sie hatte ihre letzten Kräfte zusammengenommen und auf die Annonce geantwortet. Sie hatte bald einen Brief bekommen, in dem zu einem Seminar nach Helsinki eingeladen worden war. Elsa war das Risiko eingegangen und hingefahren. Sie hatte gelogen, dass sie am Wochenende in der Hauptstadt an einer landesweiten Beratung der Hauswirtschaftslehrer teilnahm.
Die Versammlung im Restaurant Laulumiesten Ravin tola hatte Elsa Taavitsainen Trost gegeben, und sie hatte so viel menschliche Nähe gespürt, wie sie es in ihren kühnsten Träumen nicht erhofft hatte. Sie hatte den Vortrag über Suizidprävention angehört, hatte in Ruhe essen und sich vor allem mit verständnisvollen Men schen über ihre Probleme unterhalten können. Sie hatte Schicksalsgefährten gefunden.
Nach der Versammlung hatte sich Elsa Taavitsainen dem harten Kern der potenziellen Selbstmörder ange schlossen. Sie waren gemeinsam auf dem Friedhof und in Seurasaari gewesen. Später waren sie in Richtung Espoo zu einer Insel gezogen, die von reichen Leuten bewohnt wurde. Die anderen hatten sich alle in eine Garage gedrängt und die Tür zugemacht. Elsa hatte nicht gewagt, die fremde Garage zu betreten.
Ein wütender Wachmann war mit einem Wolfshund gekommen. Entsetzt war Elsa in Richtung Innenstadt gerannt. Bald waren ihr Ambulanzfahrzeuge und Poli zeiautos entgegengekommen. Elsa hatte nicht gewusst, was passiert war. Sie war am nächsten Morgen nach Hause zurückgefahren. Danach hatte sich niemand mehr bei ihr gemeldet. Ihr misstrauischer Ehemann hatte herausgefunden, dass während ihrer Abwesenheit in Helsinki gar kein Treffen der Hauswirtschaftslehrer stattgefunden hatte. Seine schreckliche Eifersucht hatte sich in einem regelrechten Sturm Bahn gebrochen. Seitdem war von Elsas Menschenwürde nichts mehr übrig.
Jetzt lag sie im Flur ihres Hauses, misshandelt und erniedrigt. Sie wünschte sich nur noch, dass ihr Leben endete und sie Ruhe hätte. Sie wollte sterben.
Da war draußen auf der Straße das Geräusch eines Autos zu hören. Bald klingelte jemand an der Tür. Ihr Ehemann brüllte aus dem Wohnzimmer:
»Wisch dir erst dein Kuhgesicht ab, Hure, ehe du öffnest!« Elsa hatte nicht die Kraft, sie reckte sich nur so weit hoch, dass sie die Haustür öffnen konnte.
Draußen stand Oberst Hermanni Kemppainen. Er half der misshandelten Frau auf die Beine. Ihr Gesicht war blutig, ihre Kleidung zerdrückt. Die Strumpfhosen wa ren kaputt. Ein Schuh fehlte.
»Oberst Kemppainen! Helfen Sie
Weitere Kostenlose Bücher