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Der wunderbare Massenselbstmord

Titel: Der wunderbare Massenselbstmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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geöffnet. Auf der Brücke befanden sich zahlreiche Touristen. Gewaltige Wassermassen donner-ten, magisch die Blicke fesselnd, durch den felsigen Canyon. Jarl Hautala wusste zu berichten, dass sich in diesem Wasserfall einst Hunderte von Petersburger Adeligen ertränkt hatten, er war im vergangenen Jahr­ hundert die begehrteste Selbstmordstätte ganz Nordeu­ ropas gewesen.
    Die wilden Schaumkronen des Imatra zogen die Mit­ glieder der Gruppe auf ganz eigene, schicksalhafte Weise an. Der Oberst verbot allen, in den Wasserfall zu sprin­ gen.
    »Reißt euch zusammen! Hier wird nicht vor aller Au-gen der Hampelmann gemacht«, schärfte er seinen Schäfchen, die über das Geländer hinunterspähten, ein.
    Am östlichen Ende der Brücke stand ein eindrucks­ volles Denkmal, die bronzene »Imatran Impi« des Bild­ hauers Taisto Marüskainen. Es stellte eine ertrunkene Jungfrau dar, die mit ausgebreitetem Haar im Strom schwamm. Der begabte Künstler war später selbst in einem Binnensee ertrunken.
    Vor den zu Enso-Gutzeit gehörenden Joutsen-Werken stieg der Schlosser Ensio Häkkinen, 35, ehemaliger Hauptvertrauensmann und feuerroter Stalinist, in den Bus zu. Sein Lebenswille war aus vielerlei Gründen gebrochen, nicht zuletzt wegen der Umwälzungen in Osteuropa und den baltischen Ländern. Er hatte zeit seines Lebens die Verhältnisse in der Sowjetunion be­ wundert. Nun war ihm all das genommen. Er hatte das Gefühl, als hätte die Sowjetunion ihn, ihren opferberei­ ten Förderer, betrogen, und das nicht zu knapp. Die ganze Welt war nach dem Zusammenbruch des Sozia­ lismus durcheinander, zuerst die Welt, und dann Häk­ kinens Weltanschauung.
    In Lappeenranta sollte die dreißigjährige Konditorin Emmi Lankinen zusteigen, aber das war nicht mehr möglich. Emmi hatte sich inzwischen umgebracht. Sie war am vergangenen Sonntag auf dem Friedhof von Lappeenranta beerdigt worden. Diese erschütternde Mitteilung machte ihr schmerzgebeugter Ehemann. Er hatte seine Frau tot in der Gartenschaukel gefunden. Emmi hatte mit geschlossenen Augen dagesessen, sie hatte Gift geschluckt. Dem Mann versagte die Stimme, als er von seiner toten Frau sprach. Emmi hatte wäh­ rend der letzten Jahre an schweren Depressionen gelit­ ten, hatte deshalb auch zweimal eine Zeit in der Nerven­ klinik verbracht. Nach Mittsommer war sie eine Weile munterer gewesen, hatte sogar an einem Seminar in Helsinki teilgenommen, aber lange hatte die belebende Wirkung der Reise nicht angehalten.
    Der Ehemann konnte das Geschehene nicht begrei­ fen. Er war tieftraurig und fühlte sich schuldig am Tod seiner Frau. Wenn er gewusst hätte, dass Emmi sich mit Selbstmordgedanken trug… dann hätte er vielleicht etwas unternommen. Aber immer war man vermeintlich beschäftigt, brachte nie die Zeit und den Mut auf, sich auszusprechen. Lankinen wollte die Gruppe gern auf den alten Friedhof von Lappeenranta führen, wo die Verstorbene ruhte. Helena Puusaari legte den für Jari Kosunen bestimmten Kranz auf Emmis Grab.
    »Zum Gedenken an den Wegbereiter, die anderen fol­ gen«, las der Oberst mit monotoner Offiziersstimme vom Schleifenband.
    Man hielt eine Schweigeminute neben dem Hügel ab. Dann brachte der Oberst Emmis Witwer in seinem Auto nach Hause.
    Die Fahrt ging weiter. Die Reisenden waren erschüt­ tert. Man war zu spät zu Emmi gekommen. Onni Rello­ nen erinnerte sich, dass Emmi Lankinen eine dunkel­ haarige, füllige Frau gewesen war, die in der Helsinkier Gaststätte im Salon gesessen, aber während des ganzen Seminars kein einziges Mal das Wort ergriffen hatte. Er suchte ihren Brief aus der Mappe heraus, aber auch der gab keinen Aufschluss über ihr Schicksal. Emmi hatte geschrieben, dass sie kurz vor dem Selbstmord stehe, weiter nichts. Ihre Handschrift wirkte gezwungen, wie durch die Tortenspritze gedrückt.
    Helena Puusaari sagte in scharfem Ton zu Oberst Kemppainen, dass man von nun an nicht mehr säumen dürfe. Es mussten noch viele Ortschaften angefahren und auch die letzten Selbstmordpatienten eingesammelt werden, damit es nicht noch mehr Tote gäbe. Sie hatte die Mappen durchgesehen und herausgefunden, dass es noch etwa zehn solche unmittelbar gefährdeten Perso­ nen gab. Der Oberst sah sich gezwungen zuzugeben, dass Emmi Lankinens Tod den Druck erhöhte und zur Eile trieb.
    Helena Puusaari nahm die Mappen an sich und ging damit nach hinten ins Beratungsabteil, um eine Liste der restlichen Selbstmörder zu erstellen. Noch vor dem Eintreffen in

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