Der wunderbare Massenselbstmord
teilgenommen.
Am nächsten Tag teilte der Oberst dem Elektrizitäts werk mit, dass in seiner Wohnung der Strom abgeschal tet werden konnte. Seiner Bank erklärte er, dass er auf eine lange Reise gehe, die laufenden Ausgaben sollten von seinem Konto abgebucht werden. Anschließend zog er den Telefonstecker aus der Anschlussdose. Pflanzen gab es in der Wohnung des Oberst nicht. Auf die Fahrt nahm er außer dem Pass und den Bankbüchern noch einen Feldstecher, die Paradeuniform sowie die lackle dernen Offiziersstiefel mit.
Die Gardinen wurden vor die Fenster gezogen. So ein fach kann es sein, das Heim zu verlassen, in dem man jahrelang gewohnt hat. In einem Etagenhaus schlägt man keine Wurzeln, jedenfalls nicht ein Offizier. Eine Wohnung im Steinhaus verlangt eine Frau als Bewohne rin, erst dann wird ein Heim daraus. Wenn die Frau wegzieht oder stirbt, wird aus dem Heim eine bloße Behausung, ein Quartier, ein Loch. Der Oberst erzählte das Helena Puusaari.
»Du vermisst deine Frau immer noch?«, fragte sie im Fahrstuhl.
»Ja. Tyyne starb vor drei Jahren an Krebs. Das erste Jahr war am schwersten. Ich habe mir sogar einen Hund angeschafft, aber kein Hund kann einem die Frau ersetzen, sei es auch eine noch so gute Rasse.«
Als sie Jyväskylä verließen, war es bewölkt. In Kuopio regnete es schon, und in Iisalmi ging ein Gewitter nie der. In dieser Ortschaft holten sie einen potenziellen Selbstmörder ab, und zwar den vierzigjährigen ehemali gen Eisenbahnbeamten Tenho Utriainen. Er war Anfang Juni aus dem Gefängnis entlassen worden. Dort hatte er wegen Misshandlung seines Vorgesetzten und wegen Brandstiftung eingesessen. Utriainen wollte im Auto nicht näher auf das Thema eingehen, beklagte nur, dass er das Opfer eines Justizirrtums geworden sei. Man habe ihn aufgrund eines falschen Eides für etwas schuldig gesprochen, das er nicht getan habe. So sei nun mal die Welt, manche müssten für die Sünden der anderen mitbüßen.
Utriainen bestätigte, mit seinem Vorgesetzten in ein Handgemenge geraten zu sein und auch den Sieg da vongetragen zu haben. Es sei sehr unbedacht von ihm gewesen, denn sein Boss sei ein tückischer Mensch gewesen, der dann sein eigenes Haus in Brand gesteckt und Utriainen die Schuld in die Schuhe geschoben habe. Die nicht begangene Tat sei ihm, Utriainen, was serdicht nachgewiesen worden. Sein ganzer Besitz sei für die Entschädigungen draufgegangen, und obendrein habe man ihm anderthalb Jahre Gefängnis ohne Be währung aufgebrummt. Auch weniger genügt, um den Lebenswillen eines Menschen zu brechen.
Sie übernachteten in Kajaani. Am nächsten Tag erreichten sie Kuusamo. Helena Puusaari und Oberst Kemppainen waren gerührt, als sie vor dem Hotel den bekannten Bus von Korpelas Tempo-Linien sahen. Sie hatten das Gefühl, sie seien nach Hause gekommen.
Die Wiedersehensfreude war groß. Onni Rellonen be richtete, dass in Österbotten und in Oulu fünf neue Selbstmörder zugestiegen waren. Sie wurden dem Ober st und Helena Puusaari vorgestellt. Zwei Frauen und drei Männer: Sakari Piippo aus Närpiö, die anderen stammten aus Vaasa, Seinäjoki, Oulu und Haukipudas. Das Leben eines jeden war völlig verkorkst. Der traurig ste Fall war der Fabrikarbeiter Vesa Heikura aus Oulu. Er war erst fünfunddreißig, aber schon hundertprozen tiger Invalide. Seine Lunge war völlig zerfetzt, nachdem er im Winter in der Fabrik giftige Gase eingeatmet hatte, die bei der Reparatur von Anlagen ausgetreten waren. Der Arzt hatte ihm eine Lebenszeit bis zum Herbst in Aussicht gestellt. Im schlimmsten Falle würde er schon in ein paar Wochen sterben.
»Wer weiß, bald wird sich’s zeigen.«
Auch Utriainen wurde vorgestellt und als vollberech tigtes Mitglied in die Gruppe aufgenommen. Ein un schuldig verurteilter mittelloser Brandstifter hatte wie kein anderer triftige Gründe, sein Weiterleben in Frage zu stellen.
In Kuusamo wurde die Selbstmördergruppe um ein weiteres Mitglied erweitert, den aus einer altlaestadiani schen Sekte ausgestoßenen Autoverkäufer Jaakko Läm sä, 28 Jahre alt. Die Sekte hatte befunden, dass seine Lebensweise zu weltlich sei, und hatte ihm daraufhin die weitere Verbindung zu Gott und die Teilnahme an den Veranstaltungen verwehrt. Der Lebenswille des Autoverkäufers war damit erloschen. Niemand hatte mehr ein Auto bei ihm gekauft. Das Urteil war über ihn verhängt worden, weil er eine unsittliche Beziehung mit einer Verkäuferin aus der
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