Der wundersame Fall des Uhrwerkmanns: Roman (German Edition)
aber es is’ nix Gutes. Und damals im März haben wir noch gedacht, es wär bloß ein simpler Diamantenraub!«
»Ich frage mich, ob Algy von diesem Doyle etwas Nützliches erfahren hat. Glauben Sie, ich kann die Kneipe betreten, ohne dass mir die Seele aus dem Leib geprügelt wird?«
»Wenn Sie sich noch ’n bisschen mehr in Unordnung bringen und in Hemdsärmeln reingehen, dürften Sie die Musterung wohl bestehen, Ihr Gesicht is’ jedenfalls schon rußig genug.«
Burton streifte seine Jacke und seine Weste ab, reichte beides dem Stadtstreicher und betrachtete reumütig sein einärmeliges Hemd.
»Ich schätze, das wird als Berechtigung genügen«, murmelte er. »Zumindest sehe ich so aus, als wäre ich in eine Rauferei verwickelt gewesen.«
»Ja. Und wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, Sie haben auch das Gesicht eines Faustkämpfers.«
»Verzeihen Sie, wenn ich mich für diese Äußerung nicht bedanke. Also, sehe ich geeignet aus?«
»Zerzausen Sie sich noch ’n bisschen die Haare, Boss.«
Burton tat, wie ihm geheißen.
»Perfekt.«
»Warten Sie hier, Herbert. Ich hoffe, es dauert nicht allzu lange. Hängt davon ab, wie betrunken mein eigensinniger Assistent ist.«
Er überquerte die Straße, blieb vor der Kneipe stehen, schob die Tür auf und trat ein.
Der niedrige Schankraum war buchstäblich bis unter die Decke gerammelt voll mit Männern und Frauen der niedrigsten Arbeiterklasse, unter die sich zweifellos reichlich Diebe, Mörder und Dirnen gemischt hatten. Sie waren betrunken und gebärdeten sich ausgelassen. Viele hatten glasige Augen, die jedoch nicht allein von einem Alkoholrausch herzurühren schienen. Einige wirkten dermaßen abwesend, dass sie praktisch katatonisch waren – sie standen regungslos mit erschlafften Gesichtszügen und nach oben gerollten Augen inmitten des bunten Treibens.
Der Agent des Königs bahnte sich den Weg durch die lachende, brüllende, singende und zankende Menge. Dabei fürchtete er, dass ihm jeden Moment ein Messer zwischen die Rippen gestoßen oder eine Flasche im Gesicht zerschmettert werden könnte.
»Zur Hölle mit den verdammten Aristokraten!«, rief jemand.
Ein zustimmendes Raunen erhob sich, und Burton stimmte darin ein, um nicht aufzufallen.
»A-risto-kraaaten …«, schnarrte ein Mann neben ihm.
»Ein dreifach Hoch auf Sir Roger!«
Burton jubelte mit den anderen.
»Hoch mit dem arbeitenden Mann!«
»Aye!«, brüllte die Masse.
»Aye!, rief Burton.
Als er sich durch eine Gruppe drängte, die nach Armenhauspersonal aussah, stimmte diese ein Lied an:
»Als das Gericht befand, dass ich nicht Roger sei,
Oh, was war ich da gehemmt,
Denn die hübschen Mädchen würden denken,
Der arme Roger sei plemplem.«
Dem reimlosen und unharmonischen Lied folgte eine Woge irren Gelächters. Das schallende Wiehern eines Mannes ging in ein langes unzusammenhängendes Geheul über, das abrupt verstummte. Grinsend stand der Mann da, während ihm Speichel vom Kinn tropfte.
»Schüttet dem dämlichen Penner mehr Schnaps die Kehle runter«, rief jemand. »Das bringt sein’ Motor wieder zum Laufen!«
»Aye!«, brüllte jemand anders. »Wer nicht richtig säuft, wird gleich in einen Sarg gehäuft!«
Der Spruch wurde mit weiterem Frohsinn und erhobenen Gläsern begrüßt.
Burton fiel das Paradoxon auf, dass jene, die am betrunkensten waren, zugleich jene zu sein schienen, die ihre Sinne am besten beisammenhatten. Was bestätigte, dass Alkohol tatsächlich den Auswirkungen der mysteriösen Tichborne-Ausstrahlungen ein wenig entgegenwirkte.
Der Agent des Königs erblickte Swinburne, der durch und durch wie ein Straßenjunge aussah. Er befand sich in eine Ecke gezwängt neben einem Mann mit hohlem Blick, Brille und langem Bart.
»Oy, du Wicht!«, brüllte er. »Schwing dein’ Hintern hier rüber, Rotzlöffel!«
»Gut so, Mister!« Eine Dirne mit schmutzigem Gesicht kicherte und stupste ihn in die Seite. »Legen Sie den Schlingel übers Knie und versohlen Sie ihm tüchtig den Hintern … und danach können Sie’s selbe mit mir tun!«
Rings um Burton brach grölendes Gelächter aus. Er stimmte darin ein und johlte: »Aye! Und ich wett’, ’n Klaps von meiner Hand is’ nich’ alles, was du willst, oder? Willst wohl auch was Dickes hinten rein, he? Und ich mein damit nich’ Seiner Gnaden Tichborne!«
Seine Spöttelei wurde mit ohrenbetäubendem Jubel quittiert, und in den Wirren des Radaus, der erhobenen Humpen und der höhnischen Witzeleien bedeutete er
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