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Der Wunsch des Re

Der Wunsch des Re

Titel: Der Wunsch des Re Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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erneut beinahe eine Stunde, bis der letzte Teil der Geschichte begann.
    Horus und Seth traten mit Holzschwertern bewaffnet einander gegenüber.
    »Hier bin ich, Seth. Ich bin Horus, der große Falke«, rezitierte der Schauspieler in der Verkleidung des Horus. »Mein Platz ist fern von dir. Du bist der Feind meines Vaters Osiris. Ich beschreite den Weg der Ewigkeit und den des Lichts. Ich erhebe mich in die Lüfte. Kein Gott wird jemals erreichen, was ich erreicht habe. Ich werde Krieg führen gegen die Feinde meines Vaters. Ich werde sie als der Zornige unter meinen Sandalen zertreten, denn ich bin Horus. Mein Platz ist hoch über den Göttern und den Menschen. Ich bin Horus – Sohn des Osiris und der Isis.«
    Dann gingen die beiden Götter aufeinander los. Es war ein Kampf, in dem Osiris’ Sohn um den Thron seines Vaters focht und Rache an seinem Onkel nahm, weil dieser aus Neid seinen Bruder getötet hatte. Horus wurde mehrmals verletzt, doch die ihm innewohnende Heilkraft ließ seine Wunden schnell wieder heilen.
    Bevor Horus Seth endlich besiegen konnte, riss Seth ihm ein Auge aus, was von der Menge der Zuschauer mit entsetzten Schreien kommentiert wurde. Dann aber trat der ibisköpfige Gott Thot wieder in das Rund und gab Horus sein Auge zurück. Zu guter Letzt erschienen auch die anderen Götter wieder und entschieden, dass Horus fortan über das Schwarze Land herrschen sollte. Seth hingegen bekam die Regentschaft über das Rote Land und die Fremdländer zugeteilt.
    Begeistert Applaus und Ausrufe des Glücks erfüllten den Platz vor dem Osiris-Tempel. Die Schauspieler verneigten sich dankbar und zogen sich in ihre Zelte zurück, um für die kommenden Aufführungen neue Kräfte zu sammeln.
    Beeindruckt kehrte Meritusir zusammen mit den anderen Wab-Priestern in den Tempel zurück.
    »Wie hat es dir gefallen?«, erkundigte sich Amunhotep am Abend bei ihr und schmunzelte verstohlen. »War es das, was du erwartet hast?«
    Meritusir entging nicht die Häme in seiner Stimme, doch sie reagierte nicht darauf. »Es war genau das, was ich darüber gelesen habe«, antwortete sie, »und es hat mir gefallen.«
    Amunhotep grinste nur breit und zog sich in sein Schlafgemach zurück. Er wollte ruhen. Die kommenden zwei Tage würden anstrengend sein. Gemeinsam mit dem Pharao würde der Schrein mit der Statue des Gottes in einer feierlichen Prozession hinaus in die westliche Wüste getragen werden. Heilige Riten, die kein Uneingeweihter sehen durfte, würden weitab der Zivilisation zelebriert werden, bis am darauffolgenden Tag die Götterbarke wieder in das Heiligtum zurückkehren würde und Osiris im mystischen Dunkel seines Naos verschwand.
     
    * * *
     
    Einen Tag nach den dreitägigen Osiris-Feierlichkeiten begab sich Sethi in den Vorhof des Heiligtums, um auf Meritusir zu warten. Er hatte in Erfahrung gebracht, dass sie im Lebenshaus unterrichtet wurde, und um ins Haus des Lebens zu gelangen, musste sie den Vorhof überqueren.
    Aufgeregt stand er an eine Säule gelehnt und blinzelte in die Sonne, bis er sie endlich sah. Sein Herz begann vor Freude zu hüpfen, so glücklich war er, sie endlich wiederzusehen. Er betrachtete sie einen kurzen Moment verzückt und trat dann aus dem Schatten hervor auf sie zu.
    »Ich freue mich, dich wiederzusehen«, begrüßte er sie, und Meritusir blieb wie angewurzelt stehen.
    Freundlich lächelnd kam Sethi auf sie zu. Sie schien ihm noch hübscher geworden zu sein, seit er sie in Theben das letzte Mal zu Gesicht bekommen hatte. Erst jetzt bemerkte er, wie samtig weich und braun ihre Haut war und dass sie sich die Augen dezent geschminkt hatte. Einzig die vernarbten Stellen auf ihrem linken Oberarm verrieten noch, dass sie einst eine zu lebenslanger Zwangsarbeit Verurteilte gewesen war.
    »Ich habe vor einem Jahr in Theben auf dich gewartet«, setzte er freudig lächelnd fort. »Dein Gebieter scheint dir aber nicht gesagt zu haben, dass ich dich sprechen wollte.«
    Es war keine Frage, nur eine Feststellung. Dennoch dachte Meritusir angestrengt nach, was sie dem Prinzen darauf antworten sollte. Sie hätte lügen und Amunhotep die Schuld geben können. Es gehörte sich aber nicht, und so senkte sie nur verlegen den Blick.
    »Verzeih, Hoheit, er sagte es mir. Ich hatte jedoch Angst, zu dir zu kommen, da ich nicht wusste, was du von mir willst«, log sie nun doch ein wenig.
    Sethi lächelte noch immer verzückt. »Aber, aber, Meritusir, du musst dich doch nicht vor mir fürchten. Ich hatte dir

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