Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wunsch des Re

Der Wunsch des Re

Titel: Der Wunsch des Re Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
Vom Netzwerk:
gewollt. Niemand sollte erfahren, was in der Halle des Osiris geschah.
    »Heute alleine?«, begrüßte Oberst Theokrites sie, der sich mit Aristides die Tag- und die Nachtwache teilte. Er verrenkte sich den Hals auf der Suche nach Amunhotep.
    »Der Hohepriester ist nach Theben gereist«, erklärte Meritusir. Sie sah hinüber zum Eingang des Westlichen Hauses, das sich im mittleren Teil der Osiris-Halle befand. »Gab es irgendwelche Vorkommnisse?«
    Der Oberst schüttelte den Kopf. »Aristides sagt, dass in der Nacht alles ruhig war, und auch ich habe keine Störungen zu melden, Herrin.«
    Obwohl Meritusir nur den Rang einer einfachen Wab-Priesterin bekleidete, wurde sie dennoch von den Soldaten und Handwerkern respektiert. Sie redeten sie mit
Herrin
oder
Gebieterin
an, was Meritusir anfangs verwirrt und unsicher gemacht hatte, vor allem, wenn Amunhotep in der Nähe war und es hören konnte.
    »Sind neue Handwerker hinzugekommen?«, erkundigte sie sich stirnrunzelnd, und der griechische Getreue verneinte.
    »Es sind immer noch jene Arbeiter hier auf der Baustelle, die seit dem ersten Tag an Pharaos Grabstätte arbeiten«, entgegnete er.
    »Und was ist mit denen, die am Heiligtum werkeln, ich meine ganz speziell jenen da im Säulensaal?« Bei diesen Worten zupfte Meritusir Theokrites an seinem Hemd, und er folgte ihr ein paar Schritte in Richtung des Ausgangs. »Der da.« Sie wies mit dem Kopf hinauf zu dem Steinmetz, der sie kurz zuvor unflätig angesprochen hatte.
    Theokrites sah zu dem Mann hoch, der sich wieder seiner Arbeit zugewandt hatte, und antwortete: »Der ist seit gut einem Monat hier, Gebieterin.«
    »Ich verstehe. – Danke, du kannst wieder auf deinen Posten gehen.«
    Der Grieche deutete eine zackige Verbeugung an und verschwand.
    Ramses hatte einen Trupp von fünfzig Soldaten geschickt, von denen acht den Dienst im Haus des Hohepriesters versahen, während die restlichen sich die Wache auf der Baustelle teilten. Bisher war es zu keinem Zwischenfall gekommen, wenn man davon absah, dass am Anfang die Handwerker aus Abydos lange Hälse gemacht und neugierig in den hinteren Teil des Heiligtums gespäht hatten. Durch den schmalen Zugang hatten sie jedoch nicht viel erkennen können, und die bärbeißigen Mienen der Soldaten hatten sie von weiteren Erkundigungen abgehalten.
    Meritusir blickte noch einmal kurz zu dem Steinmetz hoch, der mit dem Rücken zu ihr stand, und folgte schließlich Theokrites.
    Sie durchmaß die Halle der Götter und betrat das Allerheiligste, die Halle des Osiris, wo sich im Boden der Zugang zur Grabstätte befand. Die Stufen führten zum oberen absteigenden Gang, der an seinem Ende im rechten Winkel zur nächsten Treppe führte, die von den Steinhauern gerade aus dem Felsen geschlagen wurde. Das Gestein war weich und ließ sich ausgezeichnet bearbeiten. Die Arbeit ging problemlos voran. Die Maler waren indes dabei, den Eingang auszuschmücken, und die Steinmetze hatten begonnen, den ersten Korridor fertigzustellen.
    Als sie erschien, drehten sich ihr die Köpfe der Männer zu. Höflich wurde sie gegrüßt; dann wandten sie sich wieder ihrer Arbeit zu und schlugen unermüdlich mit ihren Hämmern und Meißeln kleine Bröckchen aus dem Gestein. Helfer trugen den Schutt in Binsenkörben aus dem Grab und luden ihn auf kleinen Halden im Außenbereich des Tempels ab, um ihn später zum Verfüllen der Pylone zu benutzen.
    Gemächlich stieg Meritusir den Gang und die Treppe wieder hinauf ins Allerheiligste und atmete durch. Es war heiß und stickig im Grab gewesen. Hinzu kam der Feinstaub vom Meißeln, der sich in allen Körperöffnungen festsetzte. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah hoch zu dem rechteckigen Loch im Tempeldach, über das riesige Stoffbahnen gespannt waren, um das Innere der Halle vor Res Strahlen zu schützen.
    Sie war zufrieden mit dem Verlauf der Arbeiten. Vier der acht wuchtigen Säulen, die das Dach im geheimsten Teil später einmal tragen sollten, waren bereits fertiggestellt. Das galt auch für das kleine Heiligtum der Göttin Isis. Die gewaltige Granitstatue des gütig lächelnden Osiris stand derweil unweit des Zugangs zum Grab und würde hoffentlich auch noch viele Jahre dort verweilen.
    Ihr Blick schweifte durch die Halle. Die Wände und Säulen waren kunstfertig bemalt, einzig in der längs laufenden Außenwand gähnte eine Öffnung von gut acht Ellen Breite und fünf Ellen Höhe, um die Wege für die Grabarbeiter beim Herausschaffen des Schutts zu

Weitere Kostenlose Bücher