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Der Wunsch des Re

Der Wunsch des Re

Titel: Der Wunsch des Re Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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dieses Mal begleiten?«
    »Nein, Meritusir. Dein Platz ist hier in Abydos. Du hast jede Menge Pflichten, und die können nicht auf dich warten.« Er trat auf sie zu und legte ihr seine Hände auf die Schultern. »Während ich fort bin, wirst du über die Arbeiten wachen, denn nur dich lassen die Gefolgsmänner Seiner Majestät in die Nähe von Ramses’ Grab. Mache deine Aufgabe gut. Ich vertraue dir.«
    Er lächelte sie aufmunternd an, und obwohl Meritusir inzwischen gelernt hatte, ihre Gefühle zu verbergen, konnte sie in diesem Moment nicht ihren Stolz verheimlichen. Ihr Gesicht hellte sich auf, ihre Augen leuchteten, und sie erwiderte sein Lachen.
    »Ja, Herr, das werde ich tun. Es wird alles so geschehen, wie Seine Majestät es wünscht.« Ergeben neigte sie den Kopf.
    Sie hatte ihre wichtigste Lektion gelernt. Inzwischen konnte sie ihr aufwallendes Temperament zügeln und hatte sich untergeordnet. So schwer war es nicht gewesen. Immerhin galten auch in ihrer Zeit Normen und Regeln, an die sie sich hatte halten müssen.
    Seit nunmehr einem Jahr war sie Priesterin des Osiris, und mit Zustimmung des Pharaos hatte Amunhotep begonnen, sie allmählich mit anderen Dingen als jenen vertraut zu machen, die sie bis dahin im Lebenshaus gelehrt bekommen hatte. Er hatte ihr Schriftrollen zum Lesen gegeben, über deren Inhalt sie hinterher sprachen. Anfangs waren es nur Geschichten wie die des
Sinuhe
gewesen, deren Inhalt Meritusir in groben Zügen bekannt gewesen war. Dennoch hatte sie sich gefreut, sie im Original lesen zu dürfen. Amunhotep hatte ihr zu all diesen Geschichten die verschiedensten Fragen gestellt, um zu testen, ob sie den tieferen Sinn begriffen hatte, und sie hatte ihn nicht enttäuscht.
    Zwei Tage später reiste Amunhotep ab, und Netnebu übernahm die Leitung des Tempels. Früher war Amunhotep immer etwas unwohl zumute gewesen, wenn er auf Reisen ging und die Tempelführung in die Hände von Ipuwer legen musste. Mit Netnebu als sein Vertreter brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Der Dritte Prophet hatte sich zwar unter Amunhoteps Vorgänger ein schweres Versäumnis zuschulden kommen lassen, war aber seitdem stets gewissenhaft und ohne jeden Tadel seinen Verpflichtungen nachgekommen.
    Nachdem Amunhoteps Barke außer Sichtweite war, begab sich Meritusir zur Baustelle, um nach dem Rechten zu sehen. Die Arbeiten in der Halle der Götter und der Halle des Osiris waren abgeschlossen und die Säulen im angrenzenden Säulensaal schon fast bis in eine Höhe von fünfzehn Ellen gewachsen. Allmählich bekam sie einen Eindruck von der Größe und Erhabenheit dieses Heiligtums, zu dem noch zwei Höfe gehören würden.
    Die Handwerker grüßten sie freundlich und lächelten ihr zu, als sie der Priesterin ansichtig wurden. Die Männer hatten sich an ihre Anwesenheit gewöhnt und nahmen auch von ihr Anweisungen entgegen, nachdem sie mitbekommen hatten, dass sie täglich in Begleitung des Hohepriesters erschien. Zudem war keinem entgangen, dass sie zusammen mit Amunhotep über den Bauplänen saß, maß und rechnete und mit fachkundigem Blick das Baugeschehen überwachte.
    »Hallo, meine Schöne, wo willst du denn so alleine hin?«, rief einer der jungen Steinmetze Meritusir zu, der am Zugang zur Halle der Götter arbeitete. »Hast dich wohl verlaufen? Komm mit, ich zeige dir, wo meine Schlafmatte liegt.« Er grinste anzüglich zu ihr hinunter und tat, als ob er vom Gerüst steigen wolle.
    Bestürzt hielten die übrigen Handwerker die Luft an.
    Meritusir hingegen schenkte ihm nur einen vernichtenden Blick und ging weiter.
    Sie hatte diesen Mann hier noch nie zuvor gesehen, deshalb verzieh sie ihm seine Dreistigkeit. Ihm schien nicht bekannt zu sein, wer sie war und was sie hier tat; anderenfalls hätte er sich ein solches Verhalten ihr gegenüber niemals erlaubt. Sie war sich aber sicher, dass ihn seine Kameraden aufklären würden.
    Meritusir durchquerte den Saal der Götter und trat auf den Zugang zur Osiris-Halle zu, der sich links neben dem Zugang zum Schatzhaus befand. Den Gruß der Soldaten aus Pharaos Leibwache erwiderte sie mit einem Nicken. Es waren hochgewachsene, kräftige Kerle von den Inseln inmitten des Großen Grün und deren Küsten. Mit ihren gehörnten Helmen und breiten Schwertern wirkten sie ziemlich respekteinflößend und bedrohlich. Kein Unbefugter wagte sich ihnen zu nähern, der nichts im hinteren Teil des Tempels, geschweige im Ewigen Haus des Königs zu suchen hatte. Und das war auch so

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