Der Wunsch des Re
verlässlichen Mann in die heilige Stadt des Totengottes geschickt hatte, um in Erfahrung zu bringen, was dort wirklich vor sich ging. Ramose war gescheit genug, um zu ahnen, dass diese Bauaktivitäten mit Ramses’ Besuch in der Halle des Thot und der Dienerin des Osiris-Hohepriesters zusammenhängen mussten.
»Irgendetwas Geheimnisvolles findet im hintersten Bereich des Tempels statt«, hatte sein Mann berichtet, der sich als Steinmetz bei der Errichtung des Heiligtums verdingt hatte. »Hammerschläge sind zu hören, und mit finsterem Blick wird der Zugang zum Allerheiligsten von Pharaos Gefolgsleuten bewacht. Zudem halten sich die Handwerker aus dem westthebanischen Arbeiterdorf in Abydos auf. Sie allein dürfen den abgesperrten Bereich betreten und natürlich der Osiris-Hohepriester und eine kahlköpfige, sehr große Frau, von der ich nicht weiß, wer sie ist.« Ratlos hatte er mit den Schultern gezuckt. »Leider ist es mir noch nicht gelungen, in den Reihen der thebanischen Handwerker einen Informanten zu finden. Ich bemühe mich aber, Herr.«
Diese Auskünfte hatten ihm genügt. Es stand für ihn fest, dass sich Ramses in Abydos ein Scheingrab anlegen ließ, das aber nur dem Namen nach ein solches sein würde.
»Mir ist zu Ohren gekommen«, fuhr unterdessen Nacht fort und zog damit wieder Ramoses Aufmerksamkeit auf die Unterhaltung, »dass sich Ramses’ halbe Leibgarde in Abydos herumtreiben soll. Zudem sind wohl auch die Handwerker aus Theben da.«
»Ach ja?« Ramose tat überrascht. Er war nicht bereit, mit Nacht sein Wissen zu teilen. Zudem wollte er sich nicht die Blöße geben einzugestehen, dass er seine privaten Erkundigungen bereits eingezogen hatte.
Er war ein strenger und gefürchteter Herr im Tempel des Re, und er herrschte weit entfernt vom königlichen Hof. Trotzdem verfiel er nicht in den Wahn zu glauben, über dem Herrn der Beiden Länder zu stehen. Er hielt sich strikt an die Gesetze der Maat. Deshalb hätte es kein gutes Licht auf ihn geworfen, wenn herauskommen würde, dass er den Pharao bespitzelte.
»So hört man zumindest«, ergänzte Nacht und musterte den Hohepriester. Ihm war nicht entgangen, dass Ramose mit seinen Gedanken ganz woanders war.
»Du solltest dich darum nicht kümmern«, empfahl Ramose schlicht. »Gerüchte stimmen nicht immer.«
»Da hast du allerdings recht.« Nacht verneigte sich leicht. »Ein Letztes noch: Was ist an dem Gerücht, dass die Frau, die ständig an Amunhoteps Seite gesehen wird, eine kleine Tätowierung auf ihrem linken Oberarm trägt?« Lauernd äugte er zu Ramose, der keine Miene verzog. »Eine Tätowierung ist sicher nicht ungewöhnlich, doch wie man hört, zeigt sie eine Göttergestalt, einen König und die Figur eines Priesters, vor denen eine Frau auf den Knien liegt.«
»Ich denke, du erwartest von mir keine Antwort darauf.« Mit hochgezogenen Augenbrauen starrte Ramose dem Zweiten Propheten ins Gesicht. »Dir sollte die Antwort nämlich bekannt sein.«
»In der Tat, Herr. Ich kenne sie, da ich ein Priester der oberen Ränge bin. Also stimmt es. Diese Frau ist ein Geschenk der Götter.«
Ramose antwortete nicht.
Er hatte die Dienerin des Osiris-Hohepriesters vor über einem Jahr auf dem Plateau von Giseh kennengelernt, als Ramses ihr erlaubt hatte, das Labyrinth des Re und die Halle des Thot zu betreten. Er war davon ausgegangen, dass sie nichts weiter sei als eine unbedeutende Leibeigene. Dann war ihm die kleine Zeichnung auf ihrem Arm aufgefallen, und er hatte gestutzt. War es das, wonach es aussah?, hatte er sich gefragt, und er hatte zu zweifeln gewagt, bis Ramses die Echtheit des Males bestätigt hatte.
Nach seiner Rückkehr aus Giseh war er umgehend in die Bibliothek des Re-Tempels geeilt, die eine der ältesten und größten Sammlungen göttlicher Schriftrollen beherbergte, um nach Hinweisen zu suchen. Irgendwann hatte er die göttliche Zeitspanne von 1460 Jahren in einer der uralten Schriften verzeichnet gefunden und dass das letzte Mal zu Zeiten von Osiris Cheops ein Wesen von den Göttern gesandt worden war. Aufgeregt hatte er sofort nachgerechnet, wie viele Jahre seit Cheops’ Thronbesteigung und der von Ramses vergangen waren, und er war erstarrt – diese Frau war in der Tat ein Gottesgeschenk!
»Lass mich allein«, forderte er den Zweiten Propheten auf. »Wir werden noch rechtzeitig erfahren, was wir wissen dürfen. Anderenfalls hat es uns nicht zu interessieren.«
Ergeben verneigte sich Nacht und verschwand, während
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