Der Wunschtraummann
kommt, denn erst als ich mich das sagen höre, geht mir auf, dass es gar nicht stimmt. Er hat mir überhaupt nicht gefehlt. Ja, bis zu seinem Anruf habe ich kein einziges Mal an ihn gedacht. Was bestimmt nur daran lag, dass ich so viel um die Ohren hatte mit Opas Pokerabend und Fergus’ Vorsprechtexten und … na ja, überhaupt allem.
Wir verabschieden uns, und er legt auf, und einen Moment lang bleibe ich einfach reglos stehen, denn mir ist ein bisschen schwindelig von den sich überstürzenden Ereignissen, und dann erst gehe ich wieder hinein.
Drinnen sitzt Fergus mit einer tiefen Furche auf der Stirn über sein Skript gebeugt. »Alles okay?«, fragt er und schaut auf, als ich hereinkomme.
»Ähm … ja«, sage ich in einem ganz seltsamen Gefühlskuddelmuddel. »Das war Seb«, erkläre ich überflüssigerweise.
»Ja, habe ich schon gehört«, meint er.
Die schöne Stimmung ist dahin, und jetzt ist es irgendwie komisch zwischen uns beiden.
»Er will mit mir übers Wochenende wegfahren«, erkläre ich, wenngleich ich nicht recht weiß, warum.
»Toll.« Fergus lächelt. »Ein Wochenendtrip, hm?«
»Ja«, antworte ich ebenfalls lächelnd.
Das Gespräch verebbt, und es entsteht eine unangenehme Pause, und dann sage ich betont munter: »Ich sollte wohl mal lieber nach Hause gehen.«
»Kommst du allein nach Hause?«
»Ja, so spät ist es noch nicht, und mein Opa hat mir Geld fürs Taxi zugesteckt.« Wobei »gewaltsam aufgedrängt« wohl die akkuratere Beschreibung wäre.
»Moment, ich bring dich eben nach unten«, sagt er und nimmt seinen Schlüssel. Dann zieht er die Tür hinter sich zu, und wir trappeln die Treppe zur Haustür hinunter, die krachend hinter uns ins Schloss fällt, als wir hinaus auf die Straße treten.
Es schneit immer noch, aber hier unten ist der Boden so nass, dass der Schnee nicht liegen bleibt, sondern zu kleinen grauen Schneematschhäufchen zusammenschmilzt. Mein Blick geht zu dem neongelben Schild des Kebab-Ladens auf der anderen Straßenseite, vor dem sich einige Halbstarke herumdrücken, während der Verkehr auf der Straße vorbeirumpelt. Verglichen mit der harten Wirklichkeit hier unten kommt mir die Dachterrasse wie eine ferne, märchenhafte Welt vor, entrückt und weit weg von allem.
Ein Taxi fährt vor, und wir machen rasch einen Satz nach hinten, damit es uns nicht nass spritzt.
»Also dann, schönes Wochenende«, wünscht er mir fröhlich und gibt mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange.
»Danke«, entgegne ich lächelnd, mache die Tür auf und steige ein, »und viel Glück morgen beim Vorsprechen. Ich bin mir sicher, du bekommst die Rolle. Ich habe ein gutes Gefühl.«
»Genauso ein gutes Gefühl wie neulich, als du mir geraten hast, eine Verpasste Chance zu posten?«, witzelt er halbherzig. »Sie hat sich nämlich nicht gemeldet.«
Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. »Nein, diesmal ist es anders«, erkläre ich entschlossen. »Ganz anders.«
Worauf er nur resigniert lächelt. »Keine Sorge, ich komme schon damit klar. Ich bin schließlich Abfuhren gewöhnt, das gehört zum Job«, und damit schließt er die Taxitür hinter mir und winkt mir nach, während ich in die Nacht verschwinde.
Später dann packe ich zu Hause einige Sachen für das Wochenende zusammen und mache mich bettfertig. Die Wohnung ist leer, Fiona ist noch nicht zurückgekommen. In der letzten Zeit habe ich sie ohnehin kaum zu sehen bekommen, weil ich mich abends meistens mit Seb treffe und sie mit Talullah unterwegs ist. Sie besucht wohl einen Intensiv-Gehorsamskurs mit ihr, und selbst wenn ich dann mal einen Abend zu Hause war, kam sie nie vor Mitternacht zurück. Ich bewundere ihren unermüdlichen Einsatz, finde aber, sogar ein Hund braucht doch gelegentlich mal einen ruhigen Abend im Körbchen.
Jedenfalls habe ich ihr eine SMS geschickt und ihr gesagt, dass Seb mich mit einem kleinen Wochenendtrip überraschen will, und gefragt, ob sie sich um Flea kümmern kann, worauf sie prompt zurückschrieb:
Wow!!! Ja!!! Ruf mich morgen an!!!
Woraufhin ich ehrlich gesagt ein bisschen Gewissensbisse bekam, weil ihre Reaktion viel überschwänglicher ausfiel als meine eigene. Also, nicht dass ich mich nicht freue. Klar freue ich mich! Welches Mädel würde sich da nicht freuen? Es kommt bloß alles ein bisschen überraschend, weiter nichts … Mein Blick fällt auf einen weiteren Pullover, den ich schnell in meine aus allen Nähten platzende Reisetasche stopfe. Da ich keinen Schimmer habe, was ich
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