Der Wunschtraummann
die gespannte Vorfreude während der Fahrt zum Flughafen vorstellen, bei der ich Seb anflehe, mir doch endlich zu verraten, wo wir hinfliegen. Doch er weigert sich standhaft. Als wir schließlich in Heathrow auf den Kurzparkerparkplatz fahren, kann ich mich kaum noch beherrschen vor Aufregung. Noch eine Minute, und ich platze vor Neugier.
Bis er mich endlich, endlich nicht mehr zappeln lassen kann und mir die Überraschung verrät.
»Und, gefällt es dir?«, fragt er ganz aufgeregt und kann meine Reaktion kaum erwarten.
Es dauert einen Moment, bis ich die Neuigkeiten verdaut habe. Und dann:
»Snowboarden?« , wiederhole ich. Meine Stimme klingt etwas schriller als beabsichtigt.
»Ich wusste, dass dich das umhaut«, ruft er begeistert, und ein riesengroßes strahlendes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Ich weiß noch, wie du mir bei unserem ersten Date erzählt hast, du würdest es so gerne lernen.«
»Ja, das weiß ich auch noch«, entgegne ich wie betäubt. Ach, verdammt, und da habe ich mir schon ausgemalt, wie wir uns in einem hippen Hotel in Paris zusammen ins Bett kuscheln. Das kann ich mir jetzt wohl abschminken. »Aber ich habe gar nichts zum Snowboarden eingepackt«, gebe ich zu bedenken.
Man weiß ja nie. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät, unseren Snowboardingtrip gegen ein Wochenende in Paris umzutauschen. Gegen Cosmos im Costes. Gegen flauschige Bademäntel und Wellnessbehandlungen.
»Keine Sorge, das bekommen wir alles dort«, beruhigt er mich.
Vielleicht ja auch nicht.
Nachdem er unser Gepäck aus dem Kofferraum auf einen der kleinen Koffertrolleys geladen hat, dreht er sich um, legt die Arme um mich und drückt mich fest an sich. »Glaub mir, das wird der Wahnsinn«, versichert er freudestrahlend.
Aus seiner Umarmung schaue ich auf in seine blassblauen Augen und muss plötzlich an die Karte denken, die ich an Silvester verbrannt habe, die mit dem Schneehasen vorne drauf und der Einladung zum Snowboarden drin. Und ich weiß noch genau, wie leid es mir tat, dass wir nie gefahren sind, und wie ich mir gewünscht habe, ich hätte alles anders machen können.
Und das kann ich jetzt.
Ich reiße mich zusammen. Tess, was machst du denn? Davon hast du doch immer geträumt, wenn du abends auf deinem tränennassen Kissen eingeschlafen und mit vom Heulen verquollenen Augen wieder aufgewacht bist. Das ist deine zweite Chance. Diesmal kannst du mit ihm snowboarden! Zahllose Menschen machen das und haben Spaß dabei, warum sollte es dir anders gehen? Du sträubst dich bloß dagegen, weil du es noch nie ausprobiert hast – es wird dir bestimmt gefallen! Du kannst ihm beweisen, wie schnell du lernst, wie sehr du die Piste liebst und wie viel Spaß man mit dir haben kann. Du kannst ihm zeigen, dass ihr beiden wie füreinander geschaffen seid.
»Toll«, sage ich und erwidere sein Grinsen. »Ich kann es kaum erwarten.«
Wir fahren nach Chamonix. Seb hat alles arrangiert – oder vielmehr sein Organisationstalent von einer Sekretärin –, und nun fliegen wir Business Class nach Genf; ja, ganz genau! Business Class! Und dann fahren wir mit einem Shuttlebus zu dem Skiort, wo wir dann in einem Chalet übernachten werden, das einem von Sebs Freunden gehört.
Als die Dame vom Check-in-Schalter uns höflich zur Business-Lounge führt, muss ich daran denken, wie ich sonst immer verreise: mit einer Billig-Fluglinie zu unmenschlichen Flugzeiten, ein Sandwich von Prêt-à-Manger in der Hand, mit dem ich durch Stansted trotte und einen der raren freien Plastikstühle suche, um schließlich wie Vieh in den Flieger getrieben zu werden, weil ich die Gebühr fürs frühere Boarding sparen wollte …
Diesmal sitzen wir entspannt in der Club-Lounge, schauen fern und trinken Champagner. Um sieben Uhr morgens! Es ist fast wie Weihnachten, bloß ohne die endlosen Wiederholungen im Fernsehen. Und dann, kurz vor dem Abflug, werden wir blitzschnell an Bord gebracht, zu unseren bequemen, breiten Ledersitzen, und bekommen gleich schon wieder Champagner angeboten. Normalerweise bin ich etwas nervös beim Fliegen, aber als das Flugzeug sich in den Himmel schwingt, ist da nur ein aufgeregtes Kribbeln. Wenn das hier ein Snowboardwochenende ist, dann immer her damit !
Und zwei Stunden später sind wir da.
»Willkommen in Chamonix«, sagt der Fahrer des Shuttlebusses, als die automatischen Türen sich mit sanftem Zischen öffnen und wir aussteigen.
Das Allererste, was mir auffällt, ist die gleißende
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