Der Wunschtraummann
ich sagen? – schwierigen Übergangsphase meines Lebens«, fügt er etwas linkisch hinzu.
»Ach, nicht der Rede wert, ich tue doch nur meine Arbeit«, wiegele ich ab und versuche nicht daran zu denken, wie ich ihn neulich zerknittert und unrasiert auf dem Sofa vorgefunden habe. Ehrlich gesagt kommt es mir vor, als sei das schon eine Ewigkeit her. Inzwischen ist er eine gepflegte, adrette Erscheinung, und seine Lebensgeister sind wieder zurückgekehrt – man erkennt ihn kaum wieder.
»Ich werde die Firma vermissen, aber ich tröste mich damit, dass ich alles in meiner Macht Stehende getan habe.«
»Ganz bestimmt«, sage ich lächelnd. »Daran habe ich keinen Zweifel. Wir alle nicht.«
»Famos.«
Er erhebt sich aus seinem Sessel, was ich als mein Stichwort zum Gehen auffasse, weshalb ich ebenfalls aufstehe.
»Ach, und es wäre mir lieb, wenn das zwischen uns beiden bleibt«, fügt er hinzu. »Ich möchte nicht, dass meine Angestellten sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen, vor allem nicht in dieser Rezession. Und wenn alles gut geht, ist es sowieso unnötig.«
»Aber natürlich«, entgegne ich. Ich muss an Kym denken und ihren Urlaub auf Ibiza nächstes Jahr, den sie bereits gebucht hat. An das Mädel aus der Buchhaltung, das ein Kind bekommt, und an John aus dem Marketing, der kürzlich geheiratet hat und gerade dabei ist, ein Haus zu kaufen.
»Ach, und Tess, eins noch.«
Ich drehe mich um.
»Ich habe eben rasch die Unterlagen für die Indienreise durchgesehen, und es scheint alles in bester Ordnung, nur haben Sie mir meinen Reisepass noch nicht zurückgegeben. Ich weiß, dass er wegen des Visums zur Botschaft geschickt wurde, also gehe ich davon aus, dass Sie ihn noch haben.«
»Ich bringe ihn gleich vorbei«, erwidere ich zuversichtlich. »Bestimmt habe ich ihn in eine Schublade geräumt, oder er liegt in meinem Posteingang.«
»Solange er nicht in der Post verloren gegangen ist«, gluckst er heiter.
»Ha, genau«, sage ich lachend.
Ich verlasse sein Büro und gehe zu meinem Schreibtisch, um seinen Pass zu holen. Wenn ich ganz ehrlich bin, ich hatte in den letzten Wochen so viel um die Ohren, dass ich mich gar nicht mehr genau daran erinnern kann, ihn an die Botschaft geschickt zu haben, aber ich muss es wohl gemacht haben, denn es klebt kein Notizzettel mehr an meinem Computerbildschirm. Und die ziehe ich nur ab, wenn ich das, woran sie mich erinnern sollen, von der Liste abgehakt habe. Womöglich nicht unbedingt ein konventionelles Ordnungssystem, aber es funktioniert.
Hätte ich ihn also nicht weggeschickt, wäre der Haftzettel noch da. Und das ist er nicht, sage ich mir bestimmt und schaue in meinem Posteingang nach.
Darin krame ich eine Weile herum, aber von einem Pass ist weit und breit nichts zu sehen. Wie seltsam. Ob die Botschaft ihn womöglich nicht zurückgeschickt hat? Himmel, das will ich doch nicht hoffen, überlege ich, und ein kleines Körnchen Sorge keimt in mir auf. Schnell tue ich diesen Gedanken ab und mache mich stattdessen daran, den Papierstapel auf meinem Schreibtisch durchzusehen. Wir zahlen immer die Extragebühr, um Visa per Expresskurier zustellen zu lassen. Der Pass kann also gar nicht verloren gegangen sein; er muss hier irgendwo herumliegen.
Aus den Augenwinkeln sehe ich einen rosaroten Schnipsel. Ein kleiner Farbfleck, versteckt in der Lücke zwischen Monitor und Kabelkanal. Mir läuft es eiskalt den Rücken herunter. Was ist das denn? Ich versuche, ihn mit den Fingern herauszuangeln, aber er muss da hineingefallen sein und steckt nun fest. Rasch schnappe ich mir ein Lineal und stochere damit in der Ritze herum. Die Kälte kriecht mir in die Knochen, aber ich versuche, das zu ignorieren. Das ist nichts. Wahrscheinlich nur ein altes Flugblättchen. Oder irgendwas, was aus einer Zeitschrift rausgefallen ist. Bestimmt nichts Wichtiges.
Es ist ein Haftnotizzettel.
Zerknittert und zerrissen, weil ich mit dem Lineal daran herumgestochert habe, aber ganz zweifellos ein Haftnotizzettel. Ich schlucke schwer, dann streiche ich ihn mit zitternden Händen glatt.
Ungläubig starre ich auf meine eigene Handschrift.
VISUM
Nur ein einziges, scheinbar harmloses Wort, aber ich kippe beinahe um. O nein. Bitte, sagt mir, dass ich mich irre. Bitte sagt mir … ich kann den Gedanken nicht mal zu Ende bringen, ohne dass mich heillose Panik überfällt.
Okay, komm schon, ganz ruhig bleiben, sage ich mir streng. Jetzt nur keine voreiligen Schlüsse ziehen. Dann habe ich eben einen
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