Der Wunschtraummann
Gefühl, dass irgendwas in meinem Mund gestorben ist?
Behutsam blinzele ich unter den Wimpern hervor und versuche, den sich drehenden Raum um mich herum zu erfassen. Alles wirkt seltsam schief, und etwas Nasses, Pelziges drückt sich gegen mein Gesicht.
Und dann dämmert es mir langsam:
Das ist mein Schaffellteppich, und ich liege mit dem Gesicht darauf und sabbere.
Ich bin vollständig bekleidet – sofern man ein sexy Kätzchenkostüm als vollständige Bekleidung durchgehen lassen will.
An Silvester mutterseelenallein Tequila zu trinken ist wirklich keine gute Idee.
Ich glaube, ich muss mich übergeben.
Im Hintergrund höre ich Leute reden, und als ich den Blick langsam durchs Zimmer wandern lasse, geht mir auf, dass die Stimmen aus dem Fernseher kommen. Ich muss gestern Abend eingeschlafen sein, während die Glotze noch lief, und einfach auf dem Teppich ins Koma gefallen sein. Anscheinend habe ich es nicht mal bis ins Bett geschafft.
Im Gegensatz zu gewissen anderen Anwesenden, denke ich, als ich Flea auf der Bettdecke liegen sehe, der selig tief und fest pennt. Wie aufs Stichwort reißt er plötzlich das Schnäuzchen zu einem gewaltigen Gähnen auf und streckt sich, wobei er die Pfoten auf mein Kissen stützt. Sieht aus, als habe er es in vollen Zügen genossen, das Bett ganz für sich allein zu haben, überlege ich, und es versetzt mir einen kleinen Stich, dass sogar die Katze lieber allein im Bett schläft, als neben mir auf dem Boden zu liegen.
Was natürlich bescheuert ist, aber ich habe einen Kater. Da darf man sich auch schon mal selbst bemitleiden.
Vorsichtig rühre ich mich. Meine Arme und Beine fühlen sich an wie tonnenschwere Gewichte, und es kostet mich beinahe übermenschliche Kräfte, mich aufzuraffen und vom Teppich hochzustemmen. Holla. Als ich mich aufsetze, überkommt mich Schwindel wie eine gewaltige Woge. Rasch strecke ich den Arm aus und klammere mich am Bettpfosten fest, damit ich nicht umkippe. Lieber Himmel. Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut.
Ich habe das Gefühl, mich jeden Augenblick übergeben zu müssen, also atme ich tief durch und rappele mich mühsam auf. Ich brauche dringend eine heiße Dusche, einen starken Kaffee und eine Riesenpackung Kopfschmerztabletten. Ächzend und mit geschlossenen Augen taumele ich wie ein Komparse in einem Zombiefilm aus meinem Zimmer und tappe wie ferngesteuert in Richtung Bad. Ich drücke die Tür auf, schnappe mir ein Handtuch von der Stange und drehe mich zum Waschbecken um. Doch statt mit etwas Kühlem, Glattem aus Porzellan zu kollidieren, stoße ich gegen etwas Warmes, Weiches und Lebendiges .
»Uaaaaah!«, kreische ich.
Rückwärtstorkelnd reiße ich die Augen auf, und es versetzt mir den Schreck meines Lebens. Da steht ein halbnackter Mann in meinem Badezimmer! Direkt vor mir. Auf dem Badteppich. Mit nichts am Leib als einer Unterhose und einem leicht betretenen Lächeln im Gesicht.
»Frohes neues Jahr!«, flötet er leutselig, als wären wir uns gerade auf der Straße begegnet.
Zuerst starre ich ihn bloß sprachlos vor Schreck an und halte mir krampfhaft das Handtuch vor die Brust. Ich stehe da wie ein Kaninchen vor der Schlange. Kann mich weder rühren noch etwas sagen.
»Ähm, ja, hi …«, stammele ich schließlich und versuche den Blick von seinem haarigen Torso loszureißen, der allem Anschein nach in einer hautengen weißen Unterhose steckt. So eng, dass man alles sieht, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Igitt. Nicht hingucken, Tess, nicht hingucken .
Entsetzt reiße ich mich von diesem Anblick los. Das will man doch nicht als Allererstes am Neujahrsmorgen sehen. Zumal noch mit einem Wahnsinnsbrummschädel.
O Gott, der Kerl hat ja Männerbrüste, denke ich plötzlich angewidert.
Und hat er etwa gepiercte Brustwarzen ?
»Ich wusste nicht, dass hier noch jemand wohnt …«
Abrupt werde ich aus meinen Gedanken gerissen und sehe, wie er mich anschaut. Während ich ihn anstarre . Die Schamesröte steigt mir in die Wangen. Ach verdammt, Tess, was machst du denn da? Du sollst doch weggucken, nicht seine Nippel anstieren! Peinlich berührt schaue ich zu Boden und trete rasch den Rückzug aus dem Badezimmer an.
»Ach ja, doch … ja … hier wohnt noch jemand … ich …«
Nicht, dass ich was gegen Burstwarzenpiercings hätte, ich meine, ich bin schließlich nicht prüde oder so, ich habe kein Problem mit Piercings und Tattoos und … ich stolpere rückwärts über die Personenwaage und mache mich beinahe lang.
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