Der Wunschtraummann
Erschreckt stoße ich einen spitzen halberstickten Schrei aus.
»Hey, alles okay?«
»Autsch, ja, bestens«, presse ich hervor und versuche, den Schmerz zu ignorieren, der aus meinem dicken Zeh das Bein hinaufschießt. »Allerbestens, danke.«
»Gut, also, ich bin fertig, das Bad ist deins«, meint er grinsend und schlendert nonchalant an mir vorbei in den Flur. Wobei er, wie mir dann erst auffällt, eine Hand in der Unterhose hat und sich ausgiebig kratzt.
Schaudernd stürze ich zur Tür, die ich fest hinter mir zuschlage, um dann dagegenzusinken. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Mein Zeh pocht. Mein Kopf dröhnt. Ich meine, was zum Geier macht dieser wildfremde Kerl in meinem Badezimmer?
Als könnte ich mir das nicht selber denken.
Fiona .
Sie muss ihn gestern Abend bei der Party kennengelernt und mit nach Hause genommen haben. Tja, wäre jedenfalls nicht das erste Mal. Sie ist, wie meine Mutter sagen würde, »kein Kind von Traurigkeit«, und ich habe, seit ich hier bei ihr eingezogen bin, schon des Öfteren Ohrenstöpsel anziehen müssen, um ungestört schlafen zu können.
Und damit meine ich nicht diese kleinen leichten Schaumstoffstöpselchen, sondern richtig dicke Industrie-Ohrpfropfen, die ungefähr eine Million Dezibel abhalten sollen. Die Ohrenstöpseltester scheinen allerdings noch nie einen von Fionas Orgasmen gehört zu haben.
Entschlossen klemme ich den Wäschekorb hinter die Tür, um mir weitere unliebsame Überraschungen zu ersparen, und drehe mich zum Waschbecken um.
Worauf ich einen noch größeren Schreck bekomme.
Vergessen Sie den halbnackten wildfremden Mann im Badezimmer, der wahre Horror lauert im Spiegel. Sturmfrisur, blutunterlaufene Augen, verschmiertes Make-up von gestern Abend. Was ja schon schlimm genug ist, wenn man bloß ein bisschen Wimperntusche und etwas Lipgloss aufgetragen hatte, aber wenn man aufgemalte Schnurrhaare im Gesicht hatte und eine schwarze Nase, ist das noch mal eine ganz andere Geschichte.
Und, ach du lieber Himmel, sitzt da etwa eine Spinne auf meiner Wange? Mir bleibt fast das Herz stehen. Nein, zum Glück nur eine meiner falschen Wimpern, geht mir erleichtert auf, und ich ziehe sie vorsichtig ab.
Mit den Händen stütze ich mich am Waschbecken ab, begutachte mein Spiegelbild und stöhne laut auf. Ich fühle mich genauso übel, wie ich aussehe. Oder sollte ich sagen: Ich sehe genauso übel aus, wie ich mich fühle? Egal. Das ist ohnehin Jacke wie Hose. Ich fühle mich hundsmiserabel, und genauso sehe ich aus. Nicht gerade das neue und verbesserte Ich, mit dem ich eigentlich ins neue Jahr starten wollte.
Ich drehe die Dusche auf und schäle mich aus meinem Lycra-Body, der wie vakuumiert an meinem Körper klebt, steige in die Badewanne und mache mich daran, mir die Schminke aus dem Gesicht zu schrubben, die Zähne zu putzen und die Haare zu waschen. Schließlich, eine halbe Stunde später, komme ich mit sauberem Gesicht, duftenden Haaren und in einen Bademantel gewickelt aus dem Bad. Wenigstens bin ich jetzt wieder halbwegs lebendig. Und nun zur nächsten Sanierungsphase. Kaffee.
Barfuß tappe ich in die Küche, wo mich die zweite Überraschung des Morgens erwartet. Die Abwaschberge und vollgemüllten Arbeitsplatten, auf denen sich Fionas überquellende Aschenbecher und lippenstiftverzierte Weingläser türmten, sind verschwunden. An ihrer Stelle werde ich von makellosen Abstellflächen begrüßt, einer glänzenden, fleckenlosen Spüle und Fiona mit Make-up und ihrem besten Seidenkimono, die durch die Vorzeigeküche flattert und Toast buttert.
Und – Moment mal … Ich werfe einen Blick auf das Radio auf dem Fensterbrett. Heute dudelt nicht Capital Radio aus dem Lautsprecher, sondern Klassik ?
»Morgen«, zwitschert sie.
»Oh, hallo«, entgegne ich wie betäubt. Mir kommt es vor, als sei ich unversehens in einem Paralleluniversum gelandet. Normalerweise müsste Fiona nach so einer Nacht wie ein Zombie am Küchentisch sitzen und mit einer Kanne Tee und einer Marlboro light ihren Kater zu vertreiben versuchen.
Stattdessen sitzt heute Morgen der halbnackte Mann aus dem Badezimmer am Küchentisch vor einer Auswahl der Marmeladenspezialitäten und Kräutertees.
Ach so. Seinetwegen also der ganze Aufwand.
»Das ist Gareth«, fährt Fiona fort und reicht ihm den Toast.
»Wir haben uns schon kennengelernt«, meint er grinsend und öffnet ihre sonst so streng gehütete Cognac-Marmelade. »Tut mir leid wegen eben, das Schloss an der Badezimmertür
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