Der Wunschtraummann
ein fröhliches Lächeln aufsetzen und mir »Alles bestens«-Antworten abringen zu müssen.
Aber einfach völlig ignoriert zu werden, damit hatte ich nicht gerechnet.
Fassungslos schaue ich zu, wie er sich an der Theke ganz beiläufig ein bisschen streckt, während er auf sein Wechselgeld wartet. Ich weiß, vielleicht hat er mich gar nicht gesehen oder – ja, genau – hat mich mit der Mütze nicht erkannt? Ja, das muss es sein, sage ich mir bestimmt. Er weiß nicht, dass ich es bin. Deshalb hat er mich auch links liegen gelassen.
Ach, bitte, wem will ich hier was vormachen? Ich trage eine Wollmütze, keine Skimaske.
»Tall Tripleshot Latte?«
Jäh aus meinen Gedankengängen gerissen schaue ich auf und sehe die Barista, die mich mit hochgezogenen Augenbrauen anschaut, und da merke ich erst, dass mein Kaffee bereits auf mich wartet. Weiß der Himmel, wie lange der schon da steht. »Oh, ja, danke«, murmele ich, schnappe ihn mir rasch und sehe zu, dass ich schleunigst aus dem Laden verschwinde.
Ich glaube es nicht.
Ich glaube es einfach nicht.
Wie benommen laufe ich die Straße entlang und gehe im Geiste die ganze Szene noch mal durch, als schaute ich mir die Videoaufzeichnung einer Überwachungskamera an: Da stehe ich und warte auf meinen Kaffee, er kommt herein, schaut mich an und lässt mich eiskalt links liegen … Zurückspulen, noch mal abspielen. Da kommt er wieder, spaziert herein, und dann sieht er mich an und … und jetzt in Zeitlupe, Bild für Bild … nein, keine Frage, er guckt einfach vollkommen und unmissverständlich durch mich hindurch.
Die Erkenntnis versetzt mir einen schmerzhaften Stich. Wie kann er nur? Wie kann er nur so tun, als würde er mich nicht kennen? Wo wir einander doch so viel bedeutet haben. Und dann lodert Wut in mir auf. Der Mistkerl! Mich einfach so links liegen zu lassen! Was glaubt er denn, wer er ist? Okay, dann haben wir uns eben getrennt, weil es nicht die ganz große Liebe war, aber deshalb braucht er mich doch nicht gleich zu ignorieren!
Schäumend vor Wut trinke ich einen Schluck meines fast vergessenen Kaffees. Der ist inzwischen kalt geworden. Verflucht! Jetzt hat er mir sogar den Kaffee versaut!
Angetrieben von Ärger, rechtschaffener Empörung und lauwarmem Latte stampfe ich nach Hause, ohne irgendwas um mich herum mitzubekommen. Ich kann an nichts anderes denken als an Seb. Ja, ich bin so in Gedanken versunken, dass ich es kaum mitbekomme, als ich auf der Treppe ein zweites Mal mit Gareth zusammenstoße, der wohl gerade im Gehen begriffen ist. Gott sei Dank ist er diesmal vollständig bekleidet. Aber erst nachdem er mich gefragt hat, wie er zur nächsten U-Bahn-Station kommt, und ich ihm den Weg dorthin erklärt habe, geht mir auf, dass er ein Heinrich- VIII .-Kostüm trägt, allerdings ohne den roten Rauschebart. Der war das also.
Ich gehe in die Wohnung, wo alles ist wie immer. Die Marmeladen- und Kräuterteeauslage ist wie von Zauberhand verschwunden, und Fiona ist wieder ganz die Alte, wie sie da zusammengesunken am Küchentisch sitzt, eine Zigarette raucht und in der Grazia von letzter Woche blättert.
Matt lasse ich mich auf den Stuhl gegenüber fallen. In meinem Kopf dreht sich noch alles. »Ich glaube es einfach nicht«, platze ich nach kurzem Schweigen heraus und stelle meinen Kaffeebecher auf den Tisch.
»Ich weiß, mein Typ war er auch nicht«, entgegnet Fiona und schaut von ihrer Zeitschrift auf. »Normalerweise stehe ich nicht so auf kleine Männer.«
»Hä?« Verwirrt schaue ich sie an.
»Aber mal ehrlich, als der Hermelinmantel erst mal aus dem Weg war, muss ich sagen … es stimmt, was man sagt.« Mit hochgezogenen Brauen schaut sie mich vielsagend an.
»Nein, ich meinte doch nicht Heinrich VIII .«, japse ich, als mir aufgeht, wovon sie da redet. »Ich meinte das, was mir eben passiert ist.«
»Wieso, was ist dir denn passiert?«
»Ich habe Seb gesehen, und er hat getan, als würde er mich nicht kennen!«
Gespannt erwarte ich ihre Reaktion. Wie ich Fiona kenne, wird sie einiges dazu zu sagen haben. Schließlich hat sie bisher mit ihrer Meinung über Seb nie hinter dem Berg gehalten.
Sie runzelt die Stirn und zieht an ihrer Zigarette. Und dann sagt sie, recht unerwartet, nur zwei Worte. Aber das genügt, um meine ganze Welt auf den Kopf zu stellen.
»Welcher Seb?«
Sechstes Kapitel
Der Boden unter meinen Füßen gerät ins Wanken, und ich muss mich am Kühlschrank festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Was hat sie
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