Der Wunschtraummann
Speisekarten.
Angestrengt kneift er die Augen zusammen und späht auf die klein gedruckte Schrift. »Kleinen Moment …« Er kramt in der obersten Tasche seiner Jacke herum und zieht eine Brille mit Metallrahmen heraus. »Ah, schon besser, jetzt kann ich wenigstens sehen, was ich esse«, sagt er und schiebt die Brille auf der Nase nach oben.
»Ich wusste gar nicht, dass du eine Brille trägst«, sage ich und betrachte den neuen bebrillten Fergus.
»Mir sind die Kontaktlinsen ausgegangen«, erklärt er, »das letzte Paar habe ich zum Vorsprechen getragen.«
»Zum Vorsprechen?«, wiederhole ich fragend und schaue ihn schon zum zweiten Mal innerhalb von fünf Minuten staunend an. Fergus, so wird mir nun klar, steckt allem Anschein nach voller Überraschungen.
»Möchtet ihr bestellen?«
Wir werden von einer gestresst wirkenden Kellnerin unterbrochen.
»Öhm, ja, ich nehme die Kartoffel mit Ziegenkäse und getrockneten Tomaten«, sage ich rasch. Das ist meine Lieblingskombination.
»Und ich mit dem Schwarze-Bohnen-Chili«, erklärt Fergus.
Sie kritzelt unsere Bestellung auf ihren Block und verschwindet, worauf ich mich wieder zu ihm umdrehe. »Was denn für ein Vorsprechen?«
»Für so eine Fernsehserie«, meint er achselzuckend, und als er mein fragendes Gesicht sieht, erklärt er: »Ich bin eigentlich Schauspieler.«
»Du meinst wie Johnny Depp?«, blöke ich blöde, noch ehe ich mir diese dämliche Bemerkung verkneifen kann. Vor Scham ziehe ich den Kopf ein. Ehrlich, Tess, manchmal solltest du vor deinem großen Mundwerk mal dein Hirn einschalten.
Aber selbst wenn Fergus mich für einen Idioten hält, lässt er es sich nicht anmerken. »Nicht ganz«, entgegnet er ungerührt. »Ich glaube nicht, dass Johnny Depp nebenbei als Fahrradkurier jobben muss, um seine Rechnungen zu bezahlen. Captain Jack Sparrow auf einem Drahtesel? Ich mag mich irren, aber ich glaube, wohl eher nicht …« In seinen Augen blitzt es amüsiert auf.
»Nein, wohl eher nicht«, meine ich und muss dann doch grinsen. »Hast du denn schon mal irgendwo mitgespielt?«
»Während der Schauspielschule habe ich ein bisschen Theater gespielt«, erklärt er achselzuckend, »und ein paar Werbefilme habe ich auch schon gemacht.«
»Ooh, welche denn?« Mit großen Augen schaue ich ihn an. Ich kann nicht anders. Das klingt alles so aufregend und glamourös.
Jetzt schaut er etwas betreten drein. »Na ja, kürzlich habe ich in einer Werbung für Toilettenpapier den Familienvater gespielt«, gesteht er. Er weicht meinem Blick aus und spielt verlegen mit den Gewürzen.
»Nicht im Ernst!«
»Wer schauspielert denn jetzt von uns beiden?« Er zieht eine dichte schwarze Augenbraue hoch.
Verdutzt gucke ich ihn an.
»Ach, ich bitte dich, erzähl mir doch nicht, das würde dich ehrlich beeindrucken.«
»Tut es aber!«, protestiere ich. »Du bist im Fernsehen!«
»Und verkaufe Klopapier«, hält er mir mit einem verdrießlichen Lächeln vor. »Nicht gerade eine oscarreife Leistung.«
»Jeder muss mal klein anfangen. Schau dir nur Colin Firth an!«, versuche ich ihn zu ermutigen.
»Wieso, wie hat der denn angefangen?«, fragt er mit gespitzten Ohren.
»Also … ähm … das weiß ich nicht ganz genau«, erkläre ich hastig, »aber bestimmt mit was ganz Furchtbarem.«
»Willst du damit sagen, eine Klopapierwerbung sei furchtbar?«, will er wissen und wirkt ein wenig beleidigt.
Dreck.
»Nein, so habe ich das nicht gemeint …«
»War nur ein Scherz«, sagt er und zwinkert verschmitzt.
»Du Mistkerl.« Spielerisch piekse ich ihn mit meiner Gabel. »Wie dem auch sei, bestimmt hast du das ganz toll gemacht«, meine ich grinsend.
»Oscarverdächtig«, stimmt er mir lachend zu und verdreht die Augen.
Dann kommt die Kellnerin mit unserem Essen, und fürs Erste hören wir auf zu reden, und Fergus stürzt sich heißhungrig auf seine Kartoffel. »Heiliger Strohsack, du hast recht«, stöhnt er zufrieden, während er den ersten Bissen kaut. »Dieses Schwarze-Bohnen-Chili ist wirklich mördermäßig.«
»Das nehme ich jetzt einfach mal als Kompliment«, entgegne ich belustigt und beobachte, wie er sein Essen mit alarmierender Geschwindigkeit verputzt.
»Und was ist mit dir?« Er schaut von seinem Teller auf und zeigt mit der Gabel auf mich.
»Was soll denn mit mir sein?« Ich reiße mich los von meinen Gedanken.
»Was machst du da drin eigentlich ganz genau?« Und damit weist er auf das Bürogebäude auf der anderen Straßenseite.
»Ich bin die
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