Der Wunschtraummann
geschlafen hat. Was auch erklärt, warum er in letzter Zeit etwas zerknitterter ausssah als gewöhnlich.
»Alles in Ordnung?« Rasch schließe ich die Tür hinter mir. Einige Absonderlichkeiten fallen mir sofort ins Auge: die überquellende Reisetasche auf dem Boden, die Zahnbürste … wie lange er wohl schon hier schläft?
»Es tut mir schrecklich leid, so sollten Sie mich eigentlich nicht zu sehen bekommen.« Und dann fängt er an, sich überschwänglich zu entschuldigen, und versucht, die Haarsträhnen auf seinem Kopf glattzustreichen, die aussehen wie eine vertrocknete Grünlilie.
»Ach, keine Sorge, ich habe schon viel Schlimmeres gesehen – Sie müssten mal meine Mitbewohnerin kennenlernen«, versuche ich zu scherzen und reiche ihm seinen Kaffee.
Dankbar schaut er mich an und trinkt einen durstigen Schluck.
Einen Moment sagt niemand etwas.
»Okay, dann warte ich wohl lieber draußen …« Unauffällig schiebe ich mich in Richtung Tür.
»Lady Blackstock und ich lassen uns scheiden. Ich bin daheim ausgezogen.«
Erstaunt drehe ich mich zu ihm um. »Oh, das tut mir leid, ich wusste ja nicht …«
»Nein, das braucht es nicht«, wehrt er kopfschüttelnd ab. »Unsere Ehe ist schon lange zerrüttet. Es ist besser so.«
»Aber was machen Sie denn jetzt? Hier können Sie doch nicht bleiben.« Mein Blick geht von seiner großen Gestalt zu dem winzig kleinen Sofa. Es sieht schrecklich unbequem aus; bestimmt hat er kaum ein Auge zugetan.
»Das war bloß eine Übergangslösung, bis alles in die Wege geleitet ist … normalerweise würde ich im Club übernachten. Ich möchte allerdings nicht, dass man dort Wind von der Sache bekommt …« Etwas verlegen bricht er ab. »Wie dem auch sei, ich habe mir gestern ein paar Wohnungen angesehen.«
Darum hat er sich also gestern davongeschlichen, geht mir nun auf. Kein Wunder, dass davon nichts im Terminkalender stand.
»Dieses Wochenende ziehe ich um.«
Wir werden vom schrillen Läuten des Telefons auf seinem Schreibtisch unterbrochen, worauf er sich schnell vom Sofa aufrappelt und drangeht. »Danke, ich bin gleich da.« Er legt auf und wendet sich an mich. »Das war Wendy, die uns netterweise daran erinnern möchte, dass im Konferenzraum bereits alle auf uns warten«, sagt er nur eine klitzekleine Spur verärgert. Dann stopft er sich das Hemd in die Hose und will sich das zerknitterte Sakko zuknöpfen und schnalzt laut mit der Zunge. »Ach, verflixt, der Knopf ist ab.«
Ich mustere ihn und bin etwas beunruhigt. Er mag zwar der oberste Boss hier sein, aber er sieht einfach zum Gotterbarmen aus. Als seine persönliche Assistentin kann ich ihn unmöglich so zu einer Besprechung gehen lassen.
»Moment, ziehen Sie mal schnell das Jackett aus«, sage ich rasch.
Er guckt etwas verwirrt. »Aber …?«
»Ihre Jacke. Ziehen Sie sie aus«, sage ich streng und strecke ungeduldig die Hand danach aus. Er zögert – und zu spät geht mir auf, dass ich meinen Chef eigentlich nicht so herumkommandieren sollte –, dann zieht er gehorsam das Jackett aus und reicht es mir. Schnell drehe ich es auf links. »Ja, das habe ich mir doch gedacht. Sehen Sie, innen ist ein Ersatzknopf eingenäht«, sage ich siegesgewiss und zeige es ihm.
»Sie kluges Kind, woher wussten Sie denn das?«
»Die werden vom Schneider eingenäht«, erkläre ich, »das hat mir mein Opa beigebracht.« Schnell hole ich meine Tasche und krame darin herum, bis ich das kleine Nähetui gefunden habe, das ich immer dabeihabe. »Ich nähe Ihnen schnell den Knopf an.«
»Das können Sie?«, fragt Sir Richard ungläubig.
»Geht ganz schnell«, sage ich und fädele schon das Garn durchs Nadelöhr. »Vielleicht rasieren Sie sich in der Zwischenzeit noch rasch?« Womit ich auf den Elektrorasierer deute, der auf seinem Schreibtisch liegt.
»O ja … natürlich!« Entsetzt greift Sir Richard mit einer Hand an sein stoppeliges Kinn. Er schnappt sich den Rasierer und schaltet ihn ein. »Was würde ich bloß ohne Sie tun, Tess?«, ruft er fröhlich über das elektrische Summen des Rasierers und lächelt mich dankbar an. Dann macht er sich daran, sich über den Papierkorb gebeugt zu rasieren.
»Ach, halb so wild«, protestiere ich, aber insgeheim bin ich ein klein wenig stolz auf mich. Okay, dann bin ich womöglich ein hoffnungsloser Fall, was Protokolle angeht, aber wenn es ums Knöpfeannähen geht … Energisch beiße ich den Baumwollfaden ab und bewundere mein Werk. Mein Opa ist ein guter Lehrmeister. Immer noch etwas
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