Der Wunschzettel - Be Careful What You Wish For
einer Ernährungsberaterin«, füge ich hinzu.
Lionel verzieht das Gesicht.
»Du hast gehört, was der Arzt gesagt hat. Es ist sehr wichtig, dass du dich an die Diätvorschriften hältst. Keinen Käse, keinen Wein …«
»Keine Freude«, winselt er.
»Lionel, du wirst mich nicht das zweite Mal zur Witwe machen«, warnt Rosemary mit einer Stimme, bei der selbst ich mich ein wenig fürchte.
»Ich? Nicht auf die Anweisungen des Arztes hören? Ich denke nicht im Traum daran.« Er schürzt die Lippen, um sich von ihr küssen zu lassen.
»Du hattest einen Herzinfarkt und brauchst Ruhe.«
»Ich will einen Kuss, mein Liebes, keinen Sex-Marathon.«
Rosemary wird rot, und ich stehe auf. »Ich lasse euch Turteltäubchen mal allein.« Früher hätte ich mich geärgert, aber jetzt durchströmt mich ein Gefühl der Zufriedenheit, als ich meine Lippen behutsam auf die stoppelige Wange meines Vaters drücke. »See you later, alligator«, flüstere ich.
Er lächelt und flüstert: »In a while, crocodile.«
Die nächsten Tage verbringe ich im Cottage. Ed kommt wie angekündigt mit seiner Freundin Miranda, einer Ernährungsberaterin, die er auf der Uni kennen gelernt hat und die mittlerweile zwei erfolgreiche Praxen in London und Los Angeles führt. Wie ein Wirbelwind fegt sie 24 Stunden durch unser Leben, spricht mit Lionel und seinen Ärzten, stellt Diätpläne und Rezepte für fettarme Gerichte zusammen, die sie überall in der kleinen Eichenküche aufhängt.
Lionel wird am Wochenende entlassen. Mittlerweile kann ich ihn wieder Lionel nennen, da er zum Glück wieder Lionel ist. Bärtig, dröhnend und voller Leben - wenn auch bald 25 Kilo leichter, wenn es nach Miranda geht. Und ich glaube, er wird es schaffen. Trotz seiner Scherze und seiner aufgesetzten Tapferkeit hat ihm das Ganze einen schweren Schlag versetzt. Immer wieder schleicht sich ein Beben in seine Stimme, und wenn Rosemary ihm befiehlt, sein gegrilltes Hühnchen und den gedämpften Grünkohl zu essen, gehorcht er wie ein braves Kind und isst auf, ohne nach einem Glas seines geliebten Pinot noir zu verlangen.
Ich bin überglücklich. Eines Nachmittags sitze ich mit Lionel, Ed und Rosemary im Garten und lache über irgendeinen dämlichen Witz, als mir einfällt, dass sich mein Wunsch erfüllt hat - und noch viel mehr, als ich mir jemals vorgestellt hätte.
»Und wie geht’s dem jungen Amerikaner?«
Wir haben gerade unser gesundes Picknick hinter uns gebracht, als Lionel die Sprache auf Gabe bringt. Ich schwöre, mein Vater ist Gedankenleser, verdammt.
»Äh, er ist ausgezogen«, antworte ich so beiläufig wie möglich, doch es ist, als hätte er einen Finger in eine offene Wunde gelegt.
In den vergangenen Tagen hat sich alles um Lionel und die Vorbereitungen für seine Rückkehr aus der Klinik gedreht. Wir haben sein Bett ins Erdgeschoss verfrachtet und dafür gesorgt, dass er rechtzeitig seine Medikamente einnimmt. Wir alle waren so beschäftigt mit ihm, dass kaum einer von uns Zeit hatte, über irgendetwas anderes nachzudenken.
Aber so war es nicht. Ob ich abends einschlafe, die Spülmaschine einräume oder auf dem Rasen sitze und mir die Sonne ins Gesicht scheinen lasse - immer wieder wandern meine Gedanken zu Gabe. Es ist wie das bizarre Ritual einer Brieftaube, die immer wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehrt.
»Er ist zum Edinburgh Festival gefahren«, füge ich als Erklärung hinzu, auch wenn es nicht die ganze Geschichte ist.
Lionel strahlt beim Gedanken an all die Schauspieler, Künstler und Musikanten. »Und fährst du auch hin, um dir sein Programm anzusehen?«
»Nein.«
»Oh. Klar.« Er zieht die Brauen hoch.
In der nachfolgenden Stille spüre ich, wie die Blicke der anderen im Garten herumschweifen. »Was ist?«, stoße ich hitzig hervor.
»Nichts, Schwesterherz«, sagt Ed tonlos und hält sich grinsend sein Mobiltelefon ans Ohr. Seit seiner Rückkehr aus Amerika telefoniert er ununterbrochen mit Lou. Es sind nur noch wenige Wochen bis zur Geburt, und die Tatsache, dass Lionel so knapp dem Tod entronnen ist, hat ihn daran erinnert, was wichtig im Leben ist. Und zwar nicht Fußball.
»Ach, wir wollen nichts über ein langweiliges altes Festival hören, oder?«, wiegelt Rosemary ab. »Erzähl uns lieber alles über diese Society-Hochzeit, die demnächst stattfindet.«
Ich quittiere ihren Rettungsversuch mit einem dankbaren Lächeln, aber in den letzten Tagen habe ich sogar versucht, nicht an Lady Charlottes Hochzeit zu denken.
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