Der Wunschzettel - Be Careful What You Wish For
diesem Moment fällt mein Blick auf die Schlagzeile auf der Titelseite der Daily Mail: ENGLANDS WUNDER.
Mein Magen schlägt einen Purzelbaum. »Könnte man vielleicht sagen«, murmle ich, nehme den Beleg entgegen, den ich mit zitternden Fingern auf die Hälfte falte und in meine Geldbörse stecke.
Verdammt, Heather.
Ich verlasse den Laden in einem Zustand nervöser Vorfreude. Draußen herrscht der gewohnt frühmorgendliche Verkehr, die Bürgersteige sind überfüllt mit Pendlern in kurzen Hemdsärmeln, die einen neuerlichen warmen Sommertag genießen. Doch ich bin so in Gedanken versunken, dass es amazonische Ochsenfrösche regnen könnte, ohne dass es mir auffiele.
Mit gesenktem Blick gehe ich weiter, während mir eine Million Fragen durch den Kopf schießen. Worte wie »unmöglich«, »absurd« und »erstaunlich« schieben sich in mein Bewusstsein, während mein Verstand in einen erbitterten Kampf verstrickt ist. Einerseits weiß mein realistisches, logisch denkendes Ich, dass es eine rationale Erklärung für dieses Phänomen geben muss. Doch der andere Teil von mir, jener Teil, der eisern Horoskope liest und sich weigert, unter Leitern hindurchzugehen, kann sich dem Einfluss nicht entziehen.
Ich lasse das Gedränge hinter mir und gehe am Kanal entlang. Das ist einer meiner Lieblingsplätze in der Stadt. Hier herrscht diese typische Postkarten-Idylle, und ich werde nie müde, mir die bunt bemalten Hausboote anzusehen und ihre wunderbaren Namen zu lesen. Sturm im Wasserglas, Meerjungfrau aus Lavendel, Merlins Wasserfee. Ich frage mich oft, wie es wäre, mitten in London auf einem Hausboot zu leben. Pfeif auf die Boote, was ist mit deinen Wünschen?, meldet sich eine Stimme in meinem Kopf zu Wort.
Erschrocken ignoriere ich sie und starre stattdessen die Blumenampeln an, die die Hausboote in einer Explosion aus Farben zieren. Meine Güte, wie schön sie sind. Was ist mit den Dutzenden Wünschen, die ich äußern kann, ohne es überhaupt zu bemerken?
Und ist es nicht genial von dem Hausbootbesitzer dort drüben, alte Lederstiefel als Blumentöpfe zu benutzen? Mit gerunzelter Stirn betrachte ich die aufgereihten Gefäße, aus denen sogar mindestens einen Meter achtzig hohe Sonnenblumen wachsen. Blinzelnd beschatte ich die Augen mit der Hand. Meine Güte, die Sonne ist heute wirklich grell. Ich wünschte, ich hätte meine Sonnenbrille mitgenommen. Heimliche, stille, unbewusste Wünsche sind doch Teil des täglichen Lebens.
Ehrlich, ich weiß gar nicht, was heute mit mir los ist. Meine Gedanken schwirren. Ich schiebe die Hände in die Taschen - und halte inne. Moment mal. Meine Finger berühren etwas Glattes, das sich wie Plastik anfühlt. Das kann doch nicht sein … ich bin sicher, dass ich sie zu Hause liegen gelassen habe. Mein Magen flattert, als ich die Sonnenbrille herausziehe. Was wäre, wenn all diese Wünsche auf einmal in Erfüllung gingen?
Oh, Herrgott noch mal, halt endlich die Klappe, hörst du?
Ich entdecke ein kleines Café und verlasse den Kanal. Bei meinem rapiden Gewichtsverlust kann ich mir heute ein pain au chocolat leisten. Ich erwäge sogar, einen Schritt weiterzugehen und ein Mandelcroissant daraus zu machen, als mein Blick auf ein Haus mit Gerüst und einem Förderkorb davor fällt. Mein Mut sinkt. Das kann nur eines bedeuten.
Bauarbeiter.
Ich hasse Bauarbeiter.
Einen Moment lang überlege ich, ob ich die Straßenseite wechseln und hinter einer Reihe geparkter Autos abtauchen soll, doch dann bemerke ich aus dem Augenwinkel, dass es zu spät ist. Zwei von ihnen sitzen auf einer Mauer, trinken Tee und lesen irgendein Revolverblatt. Sie sehen auf, als ich auf sie zukomme.
Sie haben mich also bemerkt.
»Mist.« Ich wünschte, sie würden sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und uns Frauen in Frieden lassen. Ich meine, es ist so unfair. Ich wünschte, sie wüssten, wie es ist, lüstern angestarrt zu werden. Ich gehe weiter auf sie zu und wappne mich für das unvermeidliche »Na, Schatz, wie wär’s mit uns beiden.«
Und wissen Sie was? Es kommt nichts.
Es kann nicht sein, dass sie mich nicht bemerkt haben, sage ich mir, als ich vorbeigehe, ohne dass das übliche Pfeifen erfolgt. Stattdessen höre ich nichts als Hämmern und Bohren. Erstaunt hebe ich den Kopf, bereit für den Blickkontakt und einen Zeig-uns-deine-Titten-Spruch, aber … nichts … Keiner sieht auch nur in meine Richtung.
Ich gehe weiter mit dem Gedanken, dass es zu schön ist, um wahr zu sein. Ich warte.
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