Der Zauber der Casati
im Munde zergehen ließ wie Bonbons.
Lange habe ich nicht begriffen, wie meine Luisa dem Zauber D’Annunzios zum Opfer fallen konnte. Ich war enttäuscht, ja, beleidigt, dass sie sich in die lange Liste seiner Eroberungen einfügte. Fast versuchte ich sie zurückzuhalten. Dann aber, bei der Lektüre von Lust , erlag ich ihm selbst. Dieser Mann kannte die Frauen und wusste mit ihnen zu reden. Es war ein Irrtum gewesen, ihn mit Henry zu vergleichen, nur weil er achtzehn Jahre älter war als Luisa und hässlich dazu.
Bei ihrer dritten Begegnung bewunderten die mandelgrünen Augen des Dichters den grauen Schnürstiefel, in dem sich ein Fuß vermuten ließ, so fein, dass er ihn hätte zerbrechen können wie Glas. «Als ich Sie das erste Mal sah, hatten Sie sich einen Otterpelzmantel um die Schultern gehängt und trugen einen schwarzen Hut mit einem Schleier, der mit fuchsienroten Punkten bestickt war. Sie waren hinreißend. Beim zweiten Mal hielten sechs kleine Perlmuttknöpfe den Stehkragen ihres lila Seidenkleides geschlossen – ich hätte sie gern aufgeknöpft, um Ihnen den Hals zu küssen –, und heute nun hoffe ich, dass die Spitze, die dort aus …» Luisa gebot ihm zu schweigen. Wie konnte er sich daran erinnern? Sie musste an Camillo denken, der nicht einmal den Unterschied zwischen Wolle und Baumwolle erkannte.
Luisa misstraut D’Annunzio nicht. Sie kennt keine Angst, das ist ein wesentlicher Charakterzug bei ihr. Wie sollte ein derart charmanter Mann ihr auch weh tun können? Luisa wusste nichts von Gabrieles Privatleben, zum Beispiel, dass Donna Maria, die verlassene Ehefrau, versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Was konnte er dazu? Er war in andere Arme weitergeflogen, sammelte Leidenschaften und Skandale. Ebenso wenig wusste Luisa, dass D’Annunzio am Vorabend ihrer Begegnung das Telegramm einer Gräfin erhalten hatte. «Ich sterbe vor Trauer und Liebe stop Kommen Sie stop Kommen Sie haben Sie Mitleid.» Die Ärmste, auch sie zum Opfer geworden. Am Ende irrte sie ohne Hut und Handschuhe durch die Straßen von Mailand, bis man sie einsperrte.
D’Annunzios Begeisterung für Frauen war von Hintergedanken nicht frei. Trotz der erheblichen Einkünfte durch seine Bücher häufte er Schulden an. Dann wandte er sich an eine begüterte Frau, die stellte ihm einen dicken Scheck aus, was ihm für eine Weile aus der Klemme half. Zu seinem Glück begnügte sich der beste Herrenschneider von Mailand, einer seiner größten Fans, mit Widmungen als Bezahlung. Ohne sich eine Verliebtheit einzugestehen, räumte Luisa ein, dass er sie faszinierte. «Ich reise nie ohne meine sechsunddreißig Überseekoffer. Bei einem etwas längeren Ausflug nach Sizilien ließ ich zwanzig weiße Leinenanzüge nachkommen. Ich nehme dich nach Sizilien mit!» Er brachte sie zum Träumen und Lachen. Ja, sie wollte zur bunten, lebendigen Welt dieses Mannes gehören. Er hatte sie geweckt, und endlich würde sie leben!
W ar Luisa versucht, eine d’annunzianische Muse zu werden, um sich in einem Roman verewigt zu sehen? Sie war von Künstlern fasziniert, denn sie hielt sie für frei und sich selbst für eine unrettbar Gefangene. Ich meine, sie wollte den Dichter inspirieren, um aus sich selbst herauszugelangen. Das einzige Mal, wo ich behaupten konnte, jemanden inspiriert zu haben, da war es nicht mein Mann, sondern dieser New Yorker, der heute – welche Ironie – zu einer Figur in meinem Roman wird. Manche Dinge macht man am besten selbst.
Ich glaube nicht an Inspiration. Manchmal tauchen Sätze einfach so in meinem Kopf auf. Wenn ich sie nicht sofort notiere, gehen die meisten davon für immer verloren, und es ist eine extrem frustrierende Übung, sie wiederzusuchen. Die Erinnerung bringt sie höchstens verstümmelt und unbeholfen zurück. Vielleicht glaube ich eher an Musen. Ich bin allerdings noch keiner begegnet. Wenn ich etwas von mir wiederlese, bin ich immer verblüfft. Ich kann mich nicht erinnern, dies oder jenes geschrieben zu haben. Der Tag wird kommen, da mein Gedächtnis mich im Stich lässt und ich nur noch schreiben werde, was ich schon einmal geschrieben habe. Ich habe nur eine begrenzte Anzahl Worte zur Verfügung. Wenn man mit der Zeit das Schreiben nicht aufgibt, gerät man zwangsläufig in die Wiederholung. Alles eine Frage des Vorrats. Es müsste einem gelingen, sich das Beste für den Schluss aufzuheben, aber darauf verstehen sich die Romanciers nicht. Ein schöner Satz ist etwas Flüchtiges, Fragiles, wenn
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