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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camille de Peretti
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ins Land der braven Gattinnen, ins Land der treuen Bürgerfrauen.

N atürlich hatte sie schon von Gabriele D’Annunzio reden hören. Der Ruf des Verführers eilte ihm allenthalben voraus. Eine Bekannte von Luisa behauptete sogar, auf eine Frau aus seiner Umgebung, die nicht seine Geliebte werde, zeige man misstrauisch mit dem Finger. Als Erstes sah Luisa sein schauriges Gebiss. Gelbe Eckzähne, graue Backenzähne, wenn er den Mund beim Lachen aufriss. Er war klein und gedrungen, er war kahl. Und doch bekam er sie alle. Alle Frauen, von Rom über Paris nach Mailand, waren in seinem Bett gelandet. Er hatte nie genug, wie Don Juan. Sollte sie die Nächste sein? Ihr schien, er habe das bereits beschlossen.
    Sie wusste, dass sie nicht derselben Welt angehörten. Gabriele D’Annunzio stammte aus den Abruzzen, einer der ärmsten Gegenden Italiens. In der abgelegenen Stadt Pescara, im Schatten der weißen, rissigen Mauern von in der Sonne badenden Häusern, dort, wo alle Frauen Schwarz trugen, nannte man ihn das Wunderkind Italiens. Seit jüngster Kindheit ging die Mär von seiner Frühreife und seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten von Mund zu Mund. Später, als Luisa ihn bat, ihr von seiner Kindheit zu erzählen, gestand er, dass er schon mit zwölf Jahren die Hand der Schneider-Nonne, die ihm ein Hemd anmaß, zwischen seine Beine gezogen hatte.
    Seit seinem ersten Gedichtband, den er auf eigene Kosten mit achtzehn Jahren veröffentlichte und anlässlich dessen der berühmte Literaturkritiker Chiarini ihn zum Genie ausrief, wurde Gabriele mit Rimbaud und Napoleon verglichen. Freilich hatte er alles vom Strategen an sich und nichts vom zerquälten Jugendlichen.
    Er hatte die Tochter eines römischen Herzogs geheiratet, eine romantische Geschichte. Donna Maria war schön wie eine Raffael-Madonna und zudem eine unverhofft gute Partie. Es war eine geradezu vaudevilleske Romeo-und-Julia-Geschichte. Heimliche Treffen im Mondschein, Flucht nach Florenz, von der Polizei am Bahnhof aufgegriffen, der Vater drohte, den jungen Verführer zum Duell zu fordern. Standhafter Widerstand der entehrten Tochter. Sechs Monate nach der Hochzeit brachte sie einen Sohn zur Welt, Mario. Trotz seines gewandten Auftretens und seiner Ambitionen kannte D’Annunzio die feine Gesellschaft nicht. Als der erste Lustrausch verflogen war, musste die Ärmste sich eingestehen, dass ihr Mann in Liebesdingen schlechte Manieren hatte. Bis zu ihr hatte er ja nur Bäuerinnen verführt. Sein Umgang war nicht sonderlich gut, und sein Geldbeutel erlaubte nicht die Lebensführung, die beide sich wünschten – sie aus Gewohnheit, er aus Neigung. Denn D’Annunzio liebte nichts so sehr wie Luxus. Er übergoss sich mit Eau de Toilette, wechselte zweimal pro Tag das Hemd und nahm täglich ein Bad.

    Hingerissen betrachtete Luisa diesen wölfischen Mann, der sie umkreiste. Er hatte etwas Brutales an sich, und dabei kannte seine Verfeinerung keine Grenzen. Seine grauen Windhunde trugen smaragdene Halsbänder und schliefen in Seidenwäsche. Er liebte alles, was glänzte. Er liebte die Geschwindigkeit. Er hatte sich als einer der Ersten ein Automobil angeschafft. Ein weißes. Er liebte die Wollust. Sein 1889 erschienenes Buch Il Piacere («Lust») erlebte einen sagenhaften Erfolg. Der Held strebte wie sein Autor nach einem gefahrenreichen Leben und stellte die Liebe über alles andere.
    Jedes Mal, wenn sie sich begegneten, ob bei einer Jagdpartie oder einem Abendessen, richtete Gabriele D’Annunzio es so ein, dass er neben Luisa platziert wurde. Dann raunte er ihr Sätze zu, die sie einfach schön fand. Wieder auf ihrem Zimmer, sagte sie sie sich vor, erlebte die Szene in Zeitlupe nach, genoss jedes Detail. Er hatte ihre Hände ergriffen und gehaucht: «Sie haben ein archaisches Lächeln. Ich werde Sie Koré nennen, nach der Göttin der Hölle.» Sie wusste noch nicht, dass er systematisch all seinen Geliebten eigene Namen gab, und antwortete: «Mir wäre Coré mit C lieber.» Er lachte, und es war beschlossene Sache. An jenem Abend schlief sie lächelnd ein. Auf der anderen Seite der Wand ahnte sie Camillos regelmäßige Atemzüge. Seit Cristinas Geburt besuchte er sie immer seltener beim Schlafengehen. Luisa tat nichts Böses mit Gabriele. «Ich werde Sie Koré nennen, nach der Göttin der Hölle.» Sie lächelte nur. Und harrte auf die nächste Gelegenheit, wo er ihr inmitten eines gedrängt vollen Salons einen dieser Sätze würde zuflüstern können, die sie sich

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