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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camille de Peretti
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man ihn nicht im Fluge erhascht, ist er weg.
    Caesar konnte jederzeit von der Inspiration ereilt werden. Dann mussten alle stillschweigen, der Haushalt musste stehenbleiben, und man musste ihm spornstreichs Papier und Stift beschaffen. Ehrerbietung, Schweigen, Unterwerfung. Sogar dass man ihm das Blatt hinhielt, konnte ihn stören. Das leiseste Plastikknistern, das kleinste Klicken eines Kugelschreibers, dann verließ seine geliebte Muse ihn wieder, und die in Reichweite greifbaren gemeinen Sterblichen wurden zur Zielscheibe seines Wütens. All das für unbegreifliches Gekritzel. Je komplizierter und spitzfindiger das war, desto mehr bewunderte ich es und verehrte seinen Schöpfer als Genie. Arme verliebte Verrückte.

L uisa war ganz versessen auf alles, was irgendwie nach Esoterik und okkulten Wissenschaften roch. Wie amüsant doch die spiritistischen Sitzungen im Freundeskreise waren! Zum Abschluss einer Abendessensgesellschaft schickte man das Personal weg, hielt sich bei den Händen und beschwor die Geister herauf. Mit ein bisschen Glück ging ein Gewitter los oder schlug ein Fensterladen, und man starb fast vor Angst. In einem ihrer bequemen Wohnzimmersessel sitzend, gegenüber dem Fenster, das auf die öde Landschaft hinausging, seufzte Luisa, den Blick ins Leere gerichtet. Gott, war ihr Leben langweilig, bis sie Gabriele begegnete.
    D’Annunzio wusste, wie man Zugang zur besseren Gesellschaft erlangte. Sich an Luisa Casati heranzumachen, war für ihn, dessen Nähe alle suchten, ein Kinderspiel. Er war bei jedem Empfang, auf jeder Jagdpartie, bei jeder Opernpremiere. Luisas Herz machte nur noch Hüpfer. Sie lebte nur noch im Warten darauf, ihm zu begegnen, in der Sehnsucht, ihn zu sehen, in der Angst, ihn nie wiederzusehen. Anfangs hatte er es auf ihre ältere Schwester abgesehen. Francesca erschien ihm appetitlicher, sie wies seine Avancen aber zurück. Davon ließ Gabriele sich nicht weiter beirren, die Jüngere war ohnehin interessanter.
    In seinen Büchern besingt D’Annunzio die platonische Liebe, die respektwahrende Leidenschaft und die Erotik des Handkusses. Im wirklichen Leben kennt er nur eine Methode, die Dampfwalze. «Komm zu mir! Komm, meine Coré!» Ich kann mir bestens vorstellen, was die junge Marchesa empfand, als sie den Buchladen betrat, um seine Werke zu kaufen. Ich sehe ihre langsamen Schritte, die selbstsicher wirken sollen; die roten Wangen aber zeigen ihre Angst, sie könne sich verraten; dann die gespielte Nonchalance beim Gang zur Kasse. Wieder zu Hause, verschlang sie die Sätze dieses Mannes, um ihn zu begreifen, um sich ihm noch liebenswerter zu machen. Jede Seite brachte sie dem Ehebruch einen Schritt näher. Il mio amante – Mein Liebhaber. Sie hatte keine Angst davor, dass er sie nahm, sie brannte darauf! Sehr bald war alles offensichtlich, aber sie pfiff darauf, was ihr Mann denken könnte. Sie mochte Camillo wirklich gern, aber das war gar nichts, verglichen mit der Erschütterung, die sie empfand, wenn D’Annunzio sich ihr näherte. Luisa und Gabriele stürzten sich Hals über Kopf in diese Geschichte, eine sinnliche und sexuelle, in die die junge Frau hingerissen eintauchte. In der besseren Gesellschaft Italiens um das Jahr 1900 seine Ehefrau zu betrügen, wurde weitestgehend toleriert, den Ehemann zu betrügen hingegen war vollkommen inakzeptabel. Luisa beschloss, kein Geheimnis daraus zu machen. Das erstaunt mich wenig. Sie hatte immer Anerkennung gesucht, wollte beliebt sein, und jetzt war sie ihren Kindheitsträumen treu. Ho un amante – Ich habe einen Liebhaber. Ihre trostlose Jugend, das nette Eheleben, damit war es jetzt endlich vorbei. Luisa wusste, sie war für das Glück gemacht, und sie hatte durchaus nicht die Absicht, diese Gelegenheit zu versäumen. Umso mehr, da sie es sich erlauben konnte, denn Camillo war finanziell von ihr abhängig. Sie zahlte alles. Diese materielle Überlegenheit hatte eine enorme Wirkungskraft und war der Schlüssel für die Beziehung des Paares.
    «Mit mir wirst du die Freude kennenlernen!» Luisas Verhältnis zu D’Annunzio war bald mehr als eine Liebesgeschichte – der Ausgangspunkt einer inneren Revolution. Luisa hatte keine Zeit, eine von den verheulten Frauen zu werden, die ihm nachliefen. Natürlich war sie wenigstens anfangs in Gabriele verliebt, aber sie wusste sich auch seiner zu bedienen, um den Ballast abzuwerfen, den die Gesellschaft ihr bis dato aufgeladen hatte. Sie befreite sich. Tante grazie – Vielen Dank.

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