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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camille de Peretti
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fand es «extravagant». Camillo seinerseits bemerkte gar nichts. Er interessierte sich nicht für die Kleidung der Frauen. Gewiss macht er ihr ein angelegentliches Kompliment, doch Luisa weiß genau, würde man ihm die Augen verbinden, er wüsste nicht zu sagen, was seine Frau anhat. Ihr wird schwindlig – «Habe ich sonst nichts mehr zu erwarten?» Wie lang ihr das Leben erscheint, wenn nichts Unvorhergesehenes kommt.

    Keine vier Monate nach der Hochzeit wird Luisa schwanger. Wie ein Kind entsteht, wusste sie nicht. Zu ihrer Zeit wurden Schwangerschaften versteckt. Sobald ihr Leib sich rundete, begannen die Damen der Gesellschaft allen Umgang zu meiden. Luisa dachte, Babys kämen in Kohlköpfen zur Welt, oder falls sie Gelegenheit gehabt haben sollte, eine Schwangere zu betrachten, mochte sie daraus wie viele ihrer Geschlechtsgenossinnen geschlossen haben, dass die Kinder aus dem Bauchnabel herausträten.
    Sie war bei der Hochzeit Jungfrau gewesen, aber doch nicht ganz dumm. Da es keine Schwangerschaftstests gab, erriet eine Frau ihren Zustand anhand von Übelkeitsanfällen oder dem Ausbleiben ihrer Monatsblutung. Luisa hatte nie regelmäßige Menstruationen gehabt, und niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihr zu erklären, woher das schwarze Blut stammte, das da aus ihr herauslief. Irgendwann hatte sie bemerkt, dass ihr Körper sich veränderte, und dank der Winke einer alten Bediensteten, die etwas offenherziger war als die anderen, wusste sie bald Bescheid. Im Jahre 1900 in Italien schwanger zu sein, das bedeutete für eine Frau, sich allerlei Verboten zu fügen. Ich habe eine Soziologie-Doktorarbeit studiert, die sich ausschließlich diesem Thema widmete. Abergläubische Überzeugungen und Hausmittel waren gang und gäbe. Zur Vermeidung einer Fehlgeburt wurde vom Tragen hoher Absätze und von Sprüngen abgeraten. Also verstaute Luisa ihre neuen Schuhe im Schrank. Wenn sie ausgingen, sagte Camillo sowieso: «Du hast es nicht nötig, dich größer zu machen, als du bist.» Doch auf Stöckeln hatte Luisa weniger Angst vor anderen Frauen; wenn sie nicht die Schönste war, so war sie doch wenigstens die Größte, und sie wurde nicht übersehen. Im dritten Monat untersagte man ihr Kinobesuche und Zeitungslektüre, und Tante Fanny warnte sie: Sollte sie weiterhin im Sitzen die Beine überschlagen, werde sie ein behindertes Kind bekommen. Luisa folgte ihr und hörte sogar auf, Halsketten zu tragen, da das Kind sonst «mit einem Halsband» zur Welt kommen würde, mit um den Hals geschlungener Nabelschnur. Wenn die werdende Mutter merkwürdige Essensgelüste empfand, wurde sie ermuntert, diese zu stillen, sonst würden sie auf das Kind übergehen. Luisa hat rasende Lust auf Salami. Jede Nacht hat sie einen seltsamen Traum von einem hübschen kleinen, braunlockigen Mädchen, das ein breites blaues Satinband trägt und seine ersten Schritte macht. Es ist so schmächtig und ungeschickt, es fällt. Als Luisa es aufheben will, brechen sämtliche Knochen im Körper des Kindes, Luisa kann hören, wie sie in ihren Händen knacken.

E ntsetzt streicht Luisa sich über den Bauch, er ist riesig. Sie fühlt sich schwer und überdehnt. Sie hält das nicht mehr aus, sie hat genug, genug, genug. Wenn es ein Mädchen wird, nennt sie es Cristina. Camillo ist einverstanden. Und wenn es ein Junge wird … dann weiß sie noch nicht. Camillo wird schon etwas einfallen. Sie sieht ihren Bauchnabel, der sich unterm Seidenkleid abzeichnet. Mein Gott, was ist sie dick. Sie geht nicht mehr, sie watschelt. Non posso più sopportarlo – Ich kann es nicht mehr ertragen. Cristina, wie Cristina Trivulzio Belgiojoso. Eine Ausnahmefrau, furchtlos und kühn, Vorkämpferin des italienischen Patriotismus, die eine Armee finanzierte, Armut, Flucht und Exil erlebte, wilde Liebesaffären hatte und einen Selbstmordversuch unternahm. Eine Frau aus Feuer und Blut, wie Luisa gern eine wäre. Doch als verheiratete Frau und Mutter von zwanzig Jahren, die sich nur auf Empfängen und Tanztees bewegte, beeindruckte sie mit ihren kurzen Haaren vielleicht diejenigen, die ihr erstmals begegneten, doch ihre Träume davon, Königin der Welt zu werden, erschienen restlos unrealisierbar. Sie fühlt sich etwas matt, seelisch erschöpft, sie hat resigniert und den Biss verloren. Wozu soll das auch gut sein? Luisa ist intelligent. Sie befriedigt ihre kleineren Launen, frönt ihrer Exzentrizität in Bekleidungsdingen, gönnt sich immer abseitigere Ideen für die Einrichtung

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