Der Zauber der Casati
Aufruf gefolgt. Es war Luisa herzlich egal, dass man ihren Wein trank und den Zigarrenkeller ihres Mannes plünderte, Hauptsache, man amüsierte sie. Sie war eine intelligente Frau, sie langweilte sich schnell in den bürgerlichen, allzu konventionellen Kreisen, sie unterhielt sich gern über Literatur und Kunst, und zugegeben, wo sie schon keine Muse war, spielte sie mit Entzücken die Mäzenin. Junge Italiener von vielversprechendem Talent oder mit innovativen Ideen, mit denen sie die Kunst revolutionieren oder gar die Welt verändern wollten, waren von den Einladungen dieser steinreichen Frau geschmeichelt.
Meist thronte sie in einer weißen oder schwarzen Robe in ihrem Palast, mit den langen, schmalen Fingern eines ihrer zahlreichen Perlencolliers befühlend. Alle waren von ihrem Schweigen und ihrer Erscheinung verschüchtert. Luisa pflegte mit großem Talent den Ruf einer geheimnisvollen Frau. Ihr Vermögen, die Sammlung von allerlei bizarren Gegenständen, mit der sie sich umgab, ihr Status als Maitresse eines berühmten Mannes, dazu das kreideweiß gepuderte Gesicht und die dick mit Kajal umrundeten Augen, das kurze Haar, das sie rot gefärbt hatte, all das ließ niemanden gleichgültig.
Alberto Martini verstand sich wirklich gut mit Luisa. Sie teilten die Liebe zur Eleganz und zum Makabren. Alberto besang das Groteske und die Erotik. Er wusste, dass Luisa eine schüchterne Frau war, die sich in die Rüstung der Exzentrizität verkrochen hatte. Als Maler, Zeichner und Illustrator verkehrte er viel in Boheme- und Avantgardekreisen und diente seiner Freundin als Jagdtreiber: Er durfte zu ihr einladen, wen immer er wollte, solange es ein amüsanter Abend zu werden versprach. So machte er Luisa eines Abends mit dem jungen Filippo Tommaso Marinetti bekannt, dem künftigen Vorkämpfer des italienischen Futurismus und Verfasser von dessen berühmtem Manifest . Martini bewunderte Marinetti sehr und verfolgte dessen exaltiert-poetische Ergüsse mit Freude und ohne jede Eifersucht. Martini prophezeite, um Marinetti als Künstler werde man früher oder später nicht mehr herumkommen.
Wie jeder andere vor ihm fühlte sich Marinetti von der Einladung der Marchesa geehrt. Mit einem Kloß im Bauch, so sehr blendete ihn der prunkvolle Palazzo, folgte er dem Diener zwischen den Kuriositäten entlang durch Räume mit makellos weißen Wänden unter türkisblauen Decken. Durch eine halb geöffnete Tür erblickte er ein Paar reglos da hockender Windhunde, der eine weiß, der andere schwarz, mit rubinbesetzten Halsbändern. Der mit Alabaster geflieste Boden des Raumes war von unten her beleuchtet, die beiden Hunde saßen herrschaftlich da, mit gespitzten Ohren, und zuckten nicht mal mit der Nasenspitze, als der junge Maler vorüberging.
– Ah, da ist er ja endlich!
– Mein Lieber, wir haben gerade über dich geredet. Wir sind schon ganz ungeduldig!
Auf den Diwanen des orientalischen Salons lagernd, umgeben von Siamkatzen mit irritierenden blauen Augen und neun schwarzen Katern, deretwegen manche die Marchesa verdächtigten, eine Hexe zu sein, rauchten Luisa und Martini Eukalyptuszigaretten, die sie in eine duftende Rauchwolke hüllten. Sobald Marinetti Platz genommen hatte, sprang ihm eine große, schokoladenfarbene Abessinierkatze auf den Schoß. Luisa, an dem Abend ganz besonders festlich gelaunt, erhob ihr Glas.
– Ich trinke auf die Künste und den Bauernstand!
Und sie tranken und parlierten. Von der Wirkung des Weins und dem Schnurren der Katzen eingelullt, entspannte Marinetti sich, und Enthusiasmus prägte das Gespräch. Sie würden die Malerei von Grund auf erneuern, ja, die ganze Welt! Im Kerzenschein wirkten sie wie wahre Revolutionäre, die ein Komplott ausheckten. Sie würden die Liebe zur Gefahr besingen, eine Poesie der Kühnheit und der Revolte begründen. Poetisch wie ein Rennwagen, auf dessen Haube dicke Rohre prangten wie Schlangen mit Feueratem … ein röhrendes Automobil, das wie ein Geschoss dahinzurasen schien, das war doch schöner als die Nike von Samothrake! Denn die Geschwindigkeit hatte alles verändert. La velocità è bella – Geschwindigkeit ist schön! In Marinettis Augen funkelte der Überschwang der Jugend, die bereit ist, alles für eine Idee zu opfern, einen Reim, eine Farbe, einen Kuss. Irgendwann sprang die bislang so anschmiegsame Abessinierkatze mit gesträubtem Haar und ausgefahrenen Krallen miauend auf und floh Richtung Vestibül.
– Und der Marchese Casati?
Luisa setzte
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