Der Zauber der Casati
sich königinnengleich in Positur und sprach affektiert:
– Mein Mann hält sich an den Ufern des Lago di Bracciano auf, wo er gemeinsam mit dem Fürsten Odescalchi Wildschweine jagt.
– Ho ho ho!
– Bitte nicht so sarkastisch, mein Mann ist Großmeister der Rennhunde, der Fox-Hounds und anderer Terrier.
– Ho ho ho!
Alle lachten laut los, den Kopf nach hinten gebogen, hielten sich die Seiten. Großmeister der Rennhunde, oh, welch großartiger Titel! Vom Wein berauscht, genießt Luisa diesen Moment fast kindlicher Freude. Sie mag reif sein, Ehefrau, Mutter, Maitresse eines Mannes von fünfzig Jahren, reich und unabhängig, aber sie ist doch erst fünfundzwanzig Jahre alt. Das ist das Alter, in dem ich mich scheiden ließ.
I ch erinnere mich ganz deutlich an den Tag, an dem mir klarwurde, dass ich auf eine Scheidung zusteuerte. Ich ging die Rue Gay-Lussac hinunter, mit dem MP3-Player meines Mannes, den ein Freund ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Gerade als ich bei einem Obst- und Gemüsehändler vorbeiging, wurde ich von einem fröhlichen, rhythmischen Song gepackt, der einfach Lust zu tanzen machte. Eines von diesen Liedern, die alles ringsum in ein anderes Licht tauchen, bei denen die Farben der Tomaten und des Bürgersteigs intensiver werden. Auf einmal musste ich schneller gehen. Mein Herz und mein Kopf fingen an zu wummern. Ich hätte vor Glück platzen können auf dem Fußgängerüberweg der Rue Saint-Jacques, und voller Glück begriff ich auf einmal.
Ich begriff, dass ich nicht dafür gemacht war zu weinen. Ich begriff: Das Leben war schön, und ich war jung. Ich musste von dieser Liebe weg, die mich erdrückte, von diesem Mann, der mich terrorisierte. Verlass ihn, er macht dir doch nur Angst, mit seinen Launen, seinen Schlägen, wenn du das so weiterlaufen lässt, macht er dich noch ganz fertig. Geh und tanz das Leben, das dir die Hände reicht, umarme die Welt und hör auf zu flennen wegen eines Idioten, der dich nicht verdient.
Als das Lied vorbei war, spielte ich es noch einmal ab und tanzte den gesamten Boulevard Saint-Michel hinunter. Bis zur Besoffenheit. Bei der Vorstellung des Glücks, das mich erwartete, wenn ich nur stark genug wäre, ihn zu verlassen, lachte ich und spürte mich wachsen. Und da wurde mir klar, dass ich es tun konnte, dass ich die dazu nötigen Ressourcen hatte, genug Freude und Lebenslust. Ich brauchte ja nur ein bisschen Musik, und schon war alles so leicht wie ein Tanz.
Möglicherweise hatte die Entwicklung schon in New York begonnen, dieser Stadt jenseits jeden Maßes, als ich zwischen den Wolkenkratzern einherging, erfüllt von dem Gefühl befreiter Einsamkeit. Fern von zu Hause, meinen Pflichten, den falschen Freunden, fern von Familienzwängen und dem tyrannischen Liebsten. Als mir wieder einfiel, dass das Leben ein Spaziergang sein müsste, das Haar im Winterwind wehend, statt dieser unendlichen Reihe von Misshelligkeiten im Gewand des Unvermeidlichen.
Als ich an dem Tag nach Hause kam, hatte ich diese Empfindung, bereits in der Zukunft zu leben, wie sie von bevorstehenden großen Veränderungen bewirkt wird. Ich war wie von der Umgebung losgelöst, alles Vertraute, Alltägliche erschien mir fremd und neu. Man sieht die Dinge anders an, wenn man weiß, dass es zum letzten Mal ist. Und die Verbindungen lösen sich auf. Im Stillen nahm ich Abschied von den Wänden, dem Parkett, dem Fenster, der Glastür. Sie gehörten bereits der Vergangenheit an. Ich musste nur noch einen guten Grund finden, um ihn zu verlassen, meinen Liebsten, meinen Mann. Einen ausweglosen Grund. Und er lieferte ihn mir bald.
Z u Beginn des 20. Jahrhunderts war Venedig ein Traum von Glanz und Dekadenz. Sein Prunk verfiel, die aus Vorzeiten stammenden, noch sehr luxuriösen Palazzi zogen zugleich Künstler und die oberen Zehntausend an.
Der Canal Grande mit der Rialto-Brücke, San Pietro di Castello, der Campanile von Torcello, die Quadriga und die Bronzepferde auf dem Markusplatz, der Dogenpalast, Ca’ Foscari, die Myriaden von Tauben. Unter dem feinen, trauervollen Regen harren die auf den kleinen Wellen schwankenden Gondeln der Verliebten. Venedig ist eine magische Stadt, sie nimmt dich bei der Hand und führt dich nacheinander über all ihre Brücken.
Giovanni Boldini war ein kleines dickes Männchen von fünfundsechzig Jahren. Trotz seiner Triefaugen hinter der runden Brille, seiner ausgesprochen hohen Stirn und dem weißen Schnurrbart wirkte er wie ein etwas tapsiger junger Hund.
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