Der Zauber der Casati
D’Annunzio und er waren zwar nicht im engeren Sinne befreundet, einander aber mehrfach begegnet, und sie hegten gegenseitigen Respekt. Gerade an diesem Morgen waren sie an einer Straßenecke am Markusplatz buchstäblich ineinandergelaufen, und D’Annunzio hatte Boldini eingeladen, ihn am Abend auf ein Glas in seinem Hotel zu besuchen. Nebenbei hatte er angemerkt, so könne er auch seine gute Freundin, die Marchesa Casati, kennenlernen.
Luisa ließ auf sich warten. Wusste sie, während sie sich fertig machte, schon, wohin der Abend führen würde? Hoffte sie es? Giovanni Boldini war ein Porträtmaler von internationalem Ruf, alle Schönheiten träumten davon, sich von ihm in seinem Pariser Atelier am Boulevard Berthier verewigen zu lassen. Boldini liebte die Frauen, er verstand sich darauf, sie herrlich aussehen zu lassen, schön, weiß, mit bloßen Schultern. Manchmal gingen die Dekolletés fast bis zum Ansatz des Busens. Boldinis Kleider sind immer in Bewegung.
An der Bar des Hotels Danieli knackte der Maler Pistazienkerne mit der Akribie eines Schulbuben, dann leckte er sich verstohlen das Salz von den Fingerspitzen. D’Annunzio stocherte in den Oliven herum. Feine Bläschen tanzten in den Prosecco-Gläsern. Die beiden Männer waren frohgemut, das Gespräch lebhaft. Da erschien Luisa, einen nervösen Knoten im Bauch. Hochgewachsen, schmal, in ein enges schwarzes Seidenkleid gehüllt, ein immenses Perlenkollier um den Hals, so trat sie zum Tisch. Auf einmal hörte man etwas wie einen Regen von Murmeln. Der Verschluss ihrer Kette hatte nachgegeben, Hunderte Perlen hüpften und sprangen über den roten Teppich. Luisa schrie überrascht auf, musste dann aber lauthals lachen: «Meine Perlen! Meine Perlen!» Boldini sprang los, um eine davon im Flug zu erhaschen. Schon waren sie auf allen vieren. Wie Hühner beim Körnerpicken, stießen sie leise Gluckser aus. «Ah! Da ist sie ja!» – «Ich hab eine!» – «Lieber Gott, wie viele waren das bloß?» Als Luisa ein Tischtuch anhob und den Arm unter den Tisch streckte, begegnete sie Boldinis Blick. Die Bewegung des Mannes erstarrte. Er hatte das Modell seines nächsten Bildes vor sich.
Boldini lud die Marchesa ein, ihn in seinem Atelier in Paris zu besuchen. Luisas Herz schlug dermaßen laut, dass sie Angst hatte, es könne sie verraten. Lächelnd willigte sie ein, so bescheiden, wie es irgend ging. Von diesem Mann gemalt zu werden war nicht nur eine Ehre, sondern gab ihrem Leben ein neues Ziel. Wo sie schon selbst keine Künstlerin sein konnte, hatte sie sich immer mehr mit schöpferischen Menschen umgeben. Brachte ihr die Begegnung mit Boldini endlich die Gelegenheit, eine Muse zu werden? Erst hatte ich gedacht, dieser Traum könne sich dadurch erfüllt haben, dass sie D’Annunzios Geliebte war, doch Luisa war nicht dumm, für Gabriele war sie eine d’annunzianische Heldin von fünfhundert. Wenn er mit ihr schlief und dabei vor Freude schrie, wenn er sich auf seine Notizbücher stürzte, um Oden auf sie zu verfassen, dann wusste sie: So tat er es mit allen. Und selbst wenn sie ihn möglicherweise inspirierte, so weigerte sich ihr männliches Herz, nur einem einzigen Poeten zu gehören. Für Gabriele würde sie Coré bleiben, bei Boldini würde sie La Marchesa Luisa Casati con un levriero sein, die «Marchesa Casati mit Windspiel». Ein Kunstwerk, das würde sie werden.
I ch habe nur ein einziges Mal für Caesar Modell gestanden. Wie aus Ironie war auch das in Venedig. Als ich diesen Roman zu schreiben begann, hoffte ich, Luisa und ich würden irgendwann zueinanderfinden. Ich hätte nicht gedacht, dass das so hinterrücks geschehen würde, durch die Wiederbelebung winziger, verschütteter Erinnerungen.
Er sollte mich nackt zeichnen, wie im Film Titanic . Ein Backfisch als Muse. Ich sehe das über lastminute.com reservierte Hotelzimmer noch vor mir. Von wegen Kate Winsletts getäfelte Suite. Ich hatte darauf bestanden, und dieses eine Mal hatte er nachgegeben. Er hatte einen Canson-Skizzenblock dabei, seine Wachs- und Pastellstifte. Oder hatte ich selbst sie ihm in die Reisetasche gesteckt? Das sähe mir sehr ähnlich, aber ich kann mich für keine von beiden Versionen entscheiden. Die Vergangenheit entzieht sich mir, ist nicht nachprüfbar. Wir waren frisch verheiratet. Ich habe diese Zeichnung aufbewahrt. Sie ist unvollendet. Missraten. Zufällig fand ich sie bei einem der vielen Umzüge wieder, die dann folgten. Ich hatte glorifiziert werden wollen, er hatte
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