Der Zauber der Casati
das hätte Luisa wohl mit ihrem natürlichen Enthusiasmus gerufen, wenn sie es denn erfahren hätte. Und Kees hätte sich auf die Lippen gebissen, um nicht zu sagen, nein, sie wären sich ganz sicher nicht begegnet. Die große Dame mit ihrem Federhut hätte keinen Blick gehabt für den armen Schlucker in dunkelblauer Uniform und mit schief sitzender Kappe. Sie war immer ganz oben auf der gesellschaftlichen Leiter gewesen, er ganz unten. Und dank dieser unvergleichlichen Gönnerin sollte dem Undankbaren ein steiler Aufstieg beschert werden.
Die Marchesa machte ihn mit der High Society bekannt, und so wurde Kees van Dongen der Porträtist der besseren Pariser Gesellschaft. Sie verlangte nicht, die Einzige zu sein, der er seine Gunst erwies, im Gegenteil, entzückt vernahm sie, dass er sich mit Jasmy Jacob zusammentat, genannt «la Divine» – die Göttliche. Sie war intelligent, attraktiv, ehrgeizig und teilte mit van Dongen die Liebe zum mondänen Leben; er konnte hemmungslos das Dasein genießen, das sein Status als angesagter Maler ihm erlaubte. So wurde er, mit den Worten von Paul Gsell, zum «Maler der eleganten Neurosen». Van Dongens fauvistische Periode war vorüber. Seine Porträts waren frei von jedem Psychologisieren. Zynisch-selbstgefällig pflegte er zu sagen: «Frauen muss man größer darstellen, als sie sind, und vor allem dünner. Dann braucht man nur noch ihren Schmuck dicker zu machen, und schon sind sie zufrieden.»
Während also van Dongen die Großbürgergattinnen auf seinen Bildern idealisierte und Luisa seinen Erfolg mit Champagner feierte, nahm der Erste Weltkrieg seinen Lauf. Die Casati lebte fern der Welt. Die Soldaten im Schlamm der Schützengräben waren ihre allerletzte Sorge. Dabei hatten etliche ihrer Freunde Paris verlassen, Boldini ging nach Nizza, Poiret hatte sich freiwillig gemeldet, Sem, der Karikaturist, der Luisa so amüsiert hatte, war als Kriegskorrespondent an der Front. Was unsere Heldin im Jahre 1914 neben der Liaison mit Kees bewegte, das war die Auflösung ihrer Ehe, ein Akt, der lange bestehende Tatsachen besiegelte. Für sie bedeutete das alles andere als Schmerzen, sondern nichts als Sieg und Anlass zum Stolz. Ich weiß nicht, wie Camillo reagierte, aber im Lauf all der Jahre hatte er sich gewiss schon an die Vorstellung gewöhnt. Auch er zog in den Krieg. Nachdem der Marchese Casati Stampa di Soncino so viele Jahre lang auf Füchse geschossen hatte, schoss er jetzt auf Menschen. Kurz, er «zeichnete sich im Kriege aus». Ihre Tochter Cristina wurde aufgefordert zu wählen, welches Elternteil das Sorgerecht erhalten sollte. Die junge Frau entschied sich für die Mutter und bat, ihr Studium in Oxford fortführen zu dürfen, was die Marchesa unter der Bedingung akzeptierte, dass ihre Tochter unter Aufsicht einer Gouvernante fern der anderen Studenten und abseits des Campus lebte. Immer wieder erstaunlich, dieser Widerspruch zwischen dem lockeren Leben mancher Eltern und ihren strengen Vorstellungen bezüglich der Erziehung ihrer Kinder. Sah Luisa sich selbst als schlechtes Beispiel? Sie, die als Heranwachsende so sehr unter der ihr vorenthaltenen menschlichen Nähe gelitten hatte, reproduzierte das ihrer Tochter gegenüber jetzt haargenau. Und wo sie sich schon nicht geliebt wusste, machte Cristina auf der anderen Seite des Ärmelkanals wenigstens Fortschritte im Englischen.
Gabriele D’Annunzio war voller Kriegsbegeisterung, aber über fünfzig, also weigerte man sich, ihn zu mustern. Um wenigstens auf literarischem Wege am Krieg teilzunehmen, veröffentlichte er Schmähreden und lyrische Anfeuerungen, die ihm große Erfolge einbrachten. Dann wurde er als Spezialkraft eingesetzt: Ob bei den Land- oder den Luftstreitkräften oder bei der Marine, überall wusste er seine Bekanntheit und sein Rednertalent geltend zu machen.
Es war ein Abend im Juni 1915. Nach einem Reinigungsbad, in das sie ein paar Handvoll grobes Salz gegeben hatte, gewandete Luisa sich ganz in Schwarz, denn sie plante ein Beschwörungsritual mit ihrem Freund D’Annunzio an der Via Appia, eine Idee des Poeten, der die Heroen der Antike anrufen wollte, Italien zum Sieg zu führen. Da er sich mit den okkulten Wissenschaften nicht auskannte, hatte er Luisa gebeten, die Zeremonienmeisterin zu spielen. Sobald es um eine Voodoo-Veranstaltung unterm Sternenhimmel ging, interessierte Luisa sich brennend für den Krieg. Sie wollte über alles lachen. Wenn die beiden Liebesleute einander trafen, war die
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