Der Zauber der Casati
die Blondlocken und mahagonibraunen Chignons ins Unendliche. Im Parterre blinzeln die geblendeten Studenten schmachtend zu den Logen hoch, die eine berühmte Gräfin fest gemietet hat oder eine russische Prinzessin mit schwarz behandschuhten Armen, manche in der wahnsinnigen Hoffnung, in den Augen einer dieser Göttinnen, die mit Pfauenfederfächern über dem Publikum herumwedeln, einen Funken von Liebe zu entzünden. Manche der Logeninhaberinnen haben Zuflucht an der dunklen Wand gesucht und bleiben unsichtbar. Alte Herren in Anzug und Hemdbrust äugen wachsam durch ihre Lorgnons. Als die Marchesa Casati erscheint, konzentriert sich das Stimmengewirr zu einem einzigen halblauten Murmeln. Hat man dieses Kostüm nicht schon mal irgendwo gesehen? Ach ja, es ist das von Lady Macbeth. Diese roten, fast schwarzen Flecken, man könnte sie fast für … fast für … Und da hebt die Casati den Kopf und zeigt ihren Hals, im Würgegriff einer blutigen Hand, und das Murmeln erstarrt zu Stille. Mit raschelnden Taftroben fallen mehrere Damen in Ohnmacht. Steif und triumphierend nimmt Luisa Platz. Drei Schläge ertönen. Die Vorstellung beginnt.
Wenn es darum ging, sich selbst zu inszenieren, kannte Luisas Phantasie keine Grenzen. Sie ließ sich eine Perücke aus ausgestopften Schlangen anfertigen, trug eine geschlagene Woche lang eine Augenklappe wie ein Pirat, tauchte mit einem Seidenäffchen bei gesellschaftlichen Anlässen auf und flanierte unter den Arkaden der Rue Royale einher, ein Krokodilbaby an der Leine. Für das Pferderennen in Vincennes färbte sie ihr Windspiel knallblau, passend zu den Federn ihres Hutes. Die Princesse de Polignac, Liane de Pougy, La Belle Otéro und ihresgleichen mit ihren rosa Rüschen ließ sie weit hinter sich. Luisa fehlte es weder an Esprit noch an Humor, sie war eine der wenigen Frauen, die Zutritt zum Kreis um Robert de Montesquiou hatte. Dieser homosexuelle, ultramondäne Dandy entschied darüber, wer in der französischen Hauptstadt etwas galt und wer nicht. In den Memoiren seiner Zeitgenossen ist zu lesen, dass niemand es wagte, seine Abendgesellschaften als Erster zu verlassen, weil man dann damit rechnen musste, von den Zurückgebliebenen durchgehechelt zu werden. Luisa war über jeden Ruf erhaben. Und sie war derart unkalkulierbar, dass sie sich beinahe mit dem Duc und der Duchesse de Gramont entzweit hätte.
A ls der Majordomus von Madame la Duchesse die Tür öffnete, bemerkte er zunächst nichts. Die Ähnlichkeit war ja derart vollkommen. Nur die Sänfte hätte ihn verwundern können, aber die Freunde von Madame hatten öfter skurrile Einfälle. Im dunklen Vestibül stellten die Träger das Teil ab und hoben die Marchesa heraus. Sie blieb auf ihren Händen sitzen. «Wo sollen wir sie hinstellen?», fragte der erste Träger tiefernst. Da erst begriff der arme Edgar. Er betrat den Salon und bellte: «Die Puppe der Marquise Casati!»
Nachdem man sie abgemalt hatte, wollte Luisa auch abgegossen werden. So hatte sie einen Gipsabdruck ihres Körpers nehmen und darin eine Wachspuppe formen lassen, die vollendete Replik ihrer selbst. Um die Ähnlichkeit perfekt zu machen, hatte sie ihre abgefallenen Wimpern gesammelt und sich die Haare geschnitten und die Puppe damit ausstaffiert. Danach hatte sie bei Paul Poiret, ihrem neuen Hofschneider, Doppel zu sämtlichen Kleidungsstücken bestellt, und jetzt kleidete sie die Wachspuppe allmorgendlich als ihren Zwilling ein, nahm sie zum Einkaufen mit und saß so reglos wie möglich neben ihr im Fond der Limousine, während sie sich im Rückspiegel betrachtete. Die schönste Wirkung hatte sie erzielt, als sie sie bei einem Empfang zum Diner am anderen Kopfende des Tischs sich gegenüber platzierte. Die Gäste waren starr gewesen. Aber ihr Double jetzt hierherzuschicken, zu den Gramonts, ah, das war einfach zu ulkig. Sie hatte ihren Dienern befohlen, sie auf einen Sessel inmitten der Gäste zu setzen und um Mitternacht wieder abzuholen. Sie amüsierte sich schon vorher köstlich, allein bei dem Gedanken. Fortan würde sie so verfahren, wenn ein Empfang sie langweilte. Che idea geniale!
Edgar schmeichelte sich, ein Mann zu sein, der sich schwerlich aus der Fassung bringen ließ. Das hier war nicht die erste Extravaganz der Freunde seiner Dienstherrschaft. Angesichts der Stille, die auf seine Ankündigung folgte, war er sicher, das Richtige getan zu haben, und war mit sich zufrieden. Professor Granger vom Collège de France, ein zutiefst seriöser
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