Der Zauber der Casati
alabasterweißen Beine entblößend. Der Lärm wurde immer stärker und unentwirrbarer. In der Eingangshalle traf sie zu ihrer Überraschung auf ein fieberhaftes Durcheinander. Die Damen hatten ihre Taschentücher gezückt, Koffer stapelten sich zu chaotischen Haufen. Eine Rezeptionistin mühte sich, einem dicken Asiaten gut zuzureden, der offensichtlich keine der Sprachen sprach, die sie verstand, der Portier wedelte mit den Armen. Luisa fing im Vorübereilen einen kleinen Liftboy ein, einen rothaarigen Jungen von vielleicht vierzehn Jahren. «Heh! Was ist denn los? Ich will den Direktor sprechen! Mein Telefon geht nicht, ich will sofort mein Frühstück!» Beim Anblick der Marchesa verblassten seine Sommersprossen, er zog verzweifelt die Augenbrauen hoch und stotterte: «Sofort? Aber Madame, der Direktor ist sehr beschäftigt …» Luisa war empört. «Holen Sie den Direktor, sagen Sie ihm, Marchesa Casati verlangt ihn auf der Stelle zu sehen!» Ein Koffer schepperte zu Boden, eine Frau stieß einen Schrei aus. «Mein Gott, was soll denn dieser ganze Aufruhr? Was ist nur los?» Der Rotschopf wirkte wie gelähmt. «Aber Madame … aber Madame … Krieg!» Luisas große grüne Augen erstarrten. «Krieg?»
«Ja, Deutschland hat Frankreich den Krieg erklärt, Madame la Marquise.»
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Zweiter Teil
Auch ich will
der Welt eine Narbe zufügen.
Anaïs Nin
D ir fällt das leicht, du bist immer reich gewesen.»
Er langweilte sie. «Großzügigkeit ist doch keine Frage der Mittel. Ich pfeife auf Geld, ich könnte problemlos ohne leben.»
«Könntest du nicht. Dazu liebst du den Luxus viel zu sehr.»
«Das stimmt nicht, wichtig ist doch nur, sich zu amüsieren.»
Er stieß einen langen Seufzer aus. «Natürlich.» Sie sah nicht, wie er die Augen gen Himmel verdrehte. Der Undankbare kuschelte die Wange in eines der üppigen Kopfkissen seiner Geliebten. Er war doch derjenige, der an nichts dachte als an Geld. Und das nach all dem, was sie für diesen miesen kleinen Maler getan hatte. Diesen kleinen Holländer. Aber Luisa war großmütig und nicht nachtragend. Wenn sie liebte, gab sie alles. Sie machte keine Geschenke, um geliebt zu werden, das Schenken an sich war ihr ein Vergnügen, das sie vollauf zufriedenstellte. Vor einigen Monaten hatte sie dafür gesorgt, dass dieser Kees van Dongen mit ihr bekannt gemacht wurde. Wegen seiner lebhaften Farben wurde er in der Nachfolge von Matisse und Braque zu den Fauvisten gerechnet, und dank seiner Porträts von Pariserinnen und Prostituierten galt er als Frauenmaler. Sein Durchbruch stand aber noch bevor. Attraktiv gefunden hatte sie ihn bei der ersten Begegnung nicht gerade. Eine dicke Nase, die ständig zu einer herablassenden Schnute verzogenen Lippen, ein seltsamer Haaransatz und der schüttere Bart ließen diesem Mann von durchschnittlicher Intelligenz, der über keinen Funken vergnüglicher Verrücktheit verfügte, wenig Chancen, unsere Marchesa zu faszinieren. Was der Casati aber gefallen hatte, war der Blick aus den blauen Augen des Malers, der sich an sie geheftet hatte. Aus ihm sprachen eine Lust, eine kindliche Neugier, so ganz anders als das halb furchtsame – bei den Kühnsten auch halb mokante – Interesse, das sie bei den Männern sonst hervorrief. Kees wollte sofort ein Stück von Luisa für sich, und zwar ganz unverhohlen. Dieser offenbar völlig unstrategische Appetit hatte die Frau verführt, die Unverstelltheit des Begehrens gefiel ihr einfach. Allerdings übersah die Marchesa dabei, dass Kees – mit vollem Namen Cornelis Theodorus Maria van Dongen – vor allem von ihrem Vermögen fasziniert war. Nun mochte das Interesse des armen Malers an der reichen Erbin nicht uneigennützig sein, aber ernst empfunden war es doch. Luisa hatte ihn aus dem Bateau-Lavoir geholt, jenem verkommenen Atelierhaus oben auf Montmartre, in dem Kees sein trockenes Brot mit seinem Freund Pablo Picasso teilte, einem anderen im Exil lebenden Maler, und hatte ihn in einem geräumigen zweietagigen Haus in der Rue Denfert-Rochereau 33 untergebracht. Sieben Porträts hatte sie bei ihm bestellt, ein gewaltiger Auftrag für einen, der, wenn er nicht gerade für ein paar Münzen Porträts anfertigte, zum Überleben auf dem Rummel Buden baute. Er war auch bei Schaukämpfen aufgetreten, hatte als Zeitungsverkäufer oder als Führer bei der Weltausstellung gearbeitet. «Oh, so ein Zufall, da hätten wir uns begegnen können, ich war dort auf meiner Hochzeitsreise»,
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