Der Zauber der Casati
Freunde mit ihren glanzvollen Festen, erwarb Blicke mit spektakulären Ausstaffierungen und die Inspiration der Künstler mit klingender Münze.
Allein für das Jahr 1920 ist belegt, dass sie in Schottland Forellen angelte, in Ungarn Wölfe jagte, in Polen tanzte und in Indien Yogis befragte. Hatte sie Liebeleien, Abenteuer für die Dauer einer Nacht im Schlafwagen? Gab es Bälle, die auf einem Kanapee endeten, sahen die Ufer der Donau sie, die Beine in die Luft gereckt? Gekonnt hätte sie es. Mit achtunddreißig war meine Marchesa ungebunden und groß, groß und ungebunden, sie schleppte in ihren Schrankkoffern die gesammelten Porträts ihrer Einsamkeit mit durch die Welt. Dabei fehlte es ihr nicht an Zerstreuungen; überall, wohin sie ging, wurde sie eingeladen. Sie kannte die oberen Zehntausend der ganzen Welt, doch wirkliche Freunde hatte sie nicht. Und keine Familie mehr. Die erwachsen gewordene Cristina suchte keinen Kontakt zu ihrer Mutter, und Francesca, die Schwester, die sie schon lange nicht mehr gesehen hatte, starb in diesem Jahr an der Spanischen Grippe, an der durch Europa tobenden Pandemie, die auch Guillaume Apollinaire, Edmond Rostand und Egon Schiele dahinraffte. Fürchtete Luisa sich vor der Krankheit? Luisa war unbesiegbar. «Dir fällt das leicht, du bist immer reich gewesen.» Kees van Dongen hatte recht – wenn ihr Geld nicht wäre, wer würde sich dann noch um sie scheren? «Das stimmt nicht, wichtig ist doch nur, sich zu amüsieren.» Doch konnte Luisa sich amüsieren, ohne es sich zu erkaufen? Sie kaufte Papageien, Zugbilletts, Kunstwerke, sie kaufte Liebe. Dumm war sie dabei nicht, sie wusste genau, dass Augustus John sie nicht mehr liebte als Kees van Dongen vor ihm. Augustus trug vor allem dafür Sorge, dass Luisa und die Duchesse de Gramont, alle beide seine Geliebten, sich nicht in der Ateliertür über den Weg liefen. Nicht, dass die eine auf die andere eifersüchtig gewesen wäre, aber die Duchesse zahlte ihm die Miete, und Augustus wollte nicht riskieren, dass ihm der Geldhahn zugedreht wurde.
Ohne selbst eine Künstlerin zu sein, wusste Luisa, dass die erotische Spannung zwischen einem Maler und seinem Modell nichts Gefühlhaftes an sich hat. Jede Form von Kreativität geht mit einem Bedürfnis nach sexueller Befriedigung einher. Als müsste man einen Überschuss an Energie loswerden, sich aus hygienischen Gründen entladen, den Körper befrieden, damit die Geisteskräfte sich frei entfalten können. Ein Maler, der mit seinem Modell schläft, begehrt es nicht, er entledigt sich einer Ablenkung, die ihn daran hindern würde, sich voll und ganz seiner Kunst zu widmen, er ermüdet seinen Körper, damit sein Willen sich endlich den eigentlichen Dingen widmen kann. Augustus’ erstes Porträt von Luisa war als eine Art Anti-Gioconda gedacht, in derselben Haltung, jedoch spiegelverkehrt, das linke Profil vor einer ganz ähnlichen Landschaft mit gelblichen Bergen. Er hasste das Ergebnis. Dennoch schickte er es Luisa, die sich zu zahlen weigerte, paradoxerweise aber das Bild sogleich weiterverkaufte. Das zweite war gelungener. Heute hängt es in der Art Gallery of Ontario, versehen mit der Bemerkung «Ein Meisterwerk unserer Zeit». Luisa ist darauf mit rotem Haar zu sehen, ihre Augen sind schwarz und tiefgründig. Unverkennbar. Dieses Porträt inspirierte später dann einen anderen Künstler, über dessen Schreibtisch im Postkartenformat es hing, Jack Kerouac. Er widmete ihm 1954 das Gedicht San Francisco Blues . Auch über meinem Schreibtisch hängt es. Aber ich bin nicht Jack Kerouac. Ich bin nur ein kleines Schreiberlein.
I ch verkörperte also Geneviève, eine jugendfrische, durchgedrehte französische Schauspielerin, die ohne Unterlass plapperte. Der vollkommen unzusammenhängende Text war schwer zu lernen gewesen. Manche Sätze sagte ich, ohne sie zu verstehen, «mink Gucci dog bed» war auch dabei. Die Szene war sehr lang, zehn Minuten, und Henry wollte sie in einer einzigen Einstellung drehen, ohne einen Schnitt. Beim kleinsten Fehler mussten wir alles von vorn beginnen. Die Szene bestand aus einem Interview. Der Journalist wurde von einem rund siebzigjährigen Mann gespielt, sein Lächeln grellweiß, seine Augen von alles durchbohrendem Blau. Mit seinem tadellosen weißen Bürstenschnitt sah er aus wie direkt dem Denver Clan entsprungen. Später erfuhr ich, dass er tatsächlich jahrelang bei einer ganz ähnlichen Soap Opera mitgewirkt hatte. Eine junge Inderin mit extrem
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