Der Zauber der Casati
polytheistischer, hüpfender Tanz, ein ruckartiges idyllisches Gebet. Im Hintergrund waren auf dem schwarz-weiß gestreiften Bildschirm verschiedene Herren mit Hut und Handschuhen zu sehen, die sich mit Kennermiene die Schnurrbärte strichen. Der Besuch dieser Ausstellung irgendwo tief im fünfzehnten Pariser Arrondissement sollte mir dazu dienen, war meine Absicht, den Unterschied zwischen Isadora Duncan und Luisa zu fassen zu bekommen, den Ruhm der einen zu begreifen und das Vergessensein der anderen. Was hatte die Duncan zu einer so außerordentlichen Muse gemacht, während meine Marchesa immer hatte bezahlen müssen, um die Künstler zu interessieren? Ich war enttäuscht und vor allem ratlos. Eine unscheinbare kleine Frau, barfuß, mit schlenkernden Armen, von allen vergöttert, und meine Casati, so groß, so schlank, so originell, auf die Rolle einer «Exzentrikerin» festgelegt. Es half nichts, ich musste mich den Tatsachen fügen, ich hatte nichts von der Ästhetik des frühen 20. Jahrhunderts begriffen.
Der Krieg war vorüber. Hatte Luisa überhaupt etwas von ihm mitbekommen? D’Annunzio seinerseits beschrieb den «verstümmelten Sieg» seines Landes. Zwar gehörte Italien zu den Gewinnern des Ersten Weltkriegs, doch wollten ihm seine amerikanischen, französischen und britischen Alliierten nicht die Gebiete zuerkennen, auf die es Anspruch erhob. Der Poet machte sich auf, Fiume zu belagern, die Stadt an der Grenze zu Istrien, und fand sich unversehens im Rang eines Operettendiktators wieder. Zunächst wollte er seine Eroberung Italien schenken, doch dessen Regierung lehnte ab. Gekränkt besetzte er die Stadt ab September 1919. Diese Münchhausiade endete, als D’Annunzio Italien den Krieg erklärte. Im Dezember 1920, nach einem Bombenangriff der italienischen Marine, musste die Stadt sich ergeben. Nach diesem Abenteuer lag der Regierung daran, den Unruhestifter ruhigzustellen, ohne ihn zu beleidigen, und sie brachte den Poeten dazu, sich in eine prunkvolle, am Gardasee gelegene Villa zurückzuziehen, die er später Vittoriale degli Italiani nannte, das «Siegerdenkmal der Italiener», heute noch als Museum ein Tempel der D’Annunzio-Jünger.
Unterdessen gab Luisa weiter ihr Geld aus. Vielleicht aus Gewohnheit, vielleicht, weil sie es nicht anders konnte. Im Jahre 1919 gab sie zwei weitere Werke in Auftrag: eines beim Bildhauer Jacob Epstein, der Oscar Wildes Grabmal auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise geschaffen hatte, das andere beim Maler Ignacio Zuloaga y Zabaleta.
Im Februar lernte sie bei der Duchesse de Gramont den Maler Augustus John kennen. Die mondäne Gesellschaft ist nicht nachtragend, dafür ist sie viel zu sensationslüstern. Cécile Soirel, Paul Poiret, Baron und Baronin Adolf de Meyer – die üblichen Stammgäste, alle waren sie mit von der Partie. An diesem Tag trug Luisa, die sich das Haar jetzt platinblond färbte, fünf Zentimeter lange künstliche Wimpern, das war ihr jüngster Spleen. Ich sehe, wie sie hintersinnig lächelnd zwischen den Gästen einherschlenderte, auf langen Beinen, im Rhythmus eines Stabes, der ebenso groß war wie sie. Kaum eingetroffen, ließ sie sich in einen Sessel fallen, schraubte den kristallenen Knauf des langen Holzstocks ab und goss sich einen großen Schluck Absinth ein. «Ja! Das ist mein eigener Pilgerstab!», warf sie zur allgemeinen Belustigung hin. Die von der Gastgeberin servierten Liköre waren ihr zu schwach. Luisa war jetzt achtunddreißig Jahre alt, sie konnte sich auf vertrautem Gelände solche Streiche erlauben. Je älter sie wurde, desto sicherer trat sie auf.
Augustus John war berühmt als Maler und als Schürzenjäger. Am Ende des Diners bestellte sie ein Bild bei ihm, tags darauf wurde sie seine Geliebte. Ein erstes Bild, dann ein zweites. Es mag wirken, als würde Luisa mit den Männern umgehen wie mit ihren Kleidern, sie liebte sie wie wahnsinnig, verstaute sie dann aber bald ohne längeren Prozess im Schrank. Ich weiß nicht recht. Ihr Mann, Gabriele, Kees, dann Augustus, dazu vielleicht noch ein, zwei andere Künstler. Für eine unabhängige Frau, deren Leben aus Festen und Orgien bestand, zu einer Zeit, da die bessere Gesellschaft unglaublich lose Sitten besaß, ist das eine etwas spärliche Jagdstrecke. Es wäre ein Irrtum, die Casati als Femme fatale hinstellen zu wollen; Luisa war vor allem unendlich einsam. Eine zu extravagante, zu rauschhaft lebende Frau, als dass man sie liebte. Sie erkaufte sich Aufmerksamkeit und
Weitere Kostenlose Bücher