Der Zauber der Casati
in seiner Villa Lysis glückliche Tage bei der Dahlienzucht zusammen mit dem göttergleich schönen jungen Italiener Nino Cesarini. Die Villa Lysis war für ihr chinesisches Boudoir bekannt. Der Baron forderte seine Gäste auf, sich in einen Kimono zu hüllen und es sich auf mit Seidenstoff bezogenen Diwanen bequem zu machen. Er tauchte eine lange Nadel in das Gefäß mit dem Tschandu und hielt dann die geringe Menge der Masse, die an der Spitze hängenblieb, vor die Flamme einer Lampe. In der Hitze blähte der Opiumtropfen sich auf, und der Mann formte ihn hingebungsvoll. Rasch bugsierte er dann die Opiumkugel in den Kopf einer Bambuspfeife, legte sich mit gemessenen Bewegungen auf die Seite, den Kopf auf ein Kissen gestützt, und hielt die Pfeife über den Lampenschirm, ein wenig geneigt, sodass das Opium sich in der Hitze verflüchtigte. Ein erster Zug. Langsam, mit geblähten Nüstern, blies er den Rauch aus und beobachtete, wie die Schwaden tanzten, während seine Sinne sich köstlich benebelten. Schweigend reichte er die Pfeife dem- oder derjenigen weiter, die in diese Praxis eingeführt werden wollten. Luisa und er schlossen Freundschaft. Sie wurde ein Stammgast im chinesischen Boudoir.
Absinth, Äther und Kokain waren in den zwanziger Jahren höchst beliebt, besonders in den Gesellschaftskreisen und bei den Künstlern, mit denen die Casati Umgang pflegte. Baron und Baronin Adolf de Meyer waren große Freunde des Kokains, und auch Gabriele D’Annunzio rühmte im Alter die inspirierende Wirkung des schneeweißen Pulvers. Warum zog Luisa Opium vor? Nun, es hat seine eigene Ästhetik, es benötigt ein Ritual. Luisa suchte nicht die hysterische Wirkung des Kokains oder die Heftigkeit des Äthers, zwar trank sie dann und wann Absinth, doch war sie unter dem Einfluss des Alkohols so stoisch und still wie ein bretonischer Matrose. Sie war von sinnlicher, sexueller Natur, und da das Opium eine autoerotisierende Wirkung hat, da es die Sinne zugleich öffnet und einen vom Rest der Welt abschottet, war Baudelaires «göttliche Droge» wie für Luisa geschaffen. Bevor ich die Verse des Dichters zu diesem Thema entdeckte, fragte ich mich ernsthaft, ob ich nicht Opium ausprobieren müsste, um zu begreifen, was Luisa daran fand. Da ich aber nie irgendeine Droge probiert hatte und auch gar nicht wusste, wie ich sie mir beschaffen sollte, beschloss ich am Ende, mich ganz auf die Künstlichen Paradiese des Dichters zu verlassen, um mich in meine Heldin einzuleben.
Luisa benötigte die Laszivität des Opiums, die Erotik, die es bewirkt. Sie gab sich mehr und mehr einer übermächtigen Wollust hin, ließ sich von der sanften Betäubung umfangen und hatte kein Angst mehr vor Langeweile. Tiefe Züge nahm sie und ließ sich treiben wie ein führerloses Boot auf dem Meer. In langer schwarzer Robe, einen Sonnenhut auf dem Kopf, kam sie aus der Villa San Michele. Ihre Erscheinung war jüngst schlichter geworden. Fern vom venezianischen Theater und dem Pariser Zirkus, war ihr weniger daran gelegen, spektakulär zu wirken. Sie ruhte im Dämmer des Zwielichts, der Kimono klaffte auf, hingerissen, abgestumpft, ekstatisch nahm sie wahr, wie es in ihrem Leib kribbelte. Ekstatischer und einsamer denn je, verfiel die Casati dem Opium. Sie war neununddreißig Jahre alt.
A nfangs war es nur ein Spiel zwischen Luisa Casati und Romaine Brooks. Getreu ihren Gewohnheiten suchte Luisa sich mit allem zu umgeben, was die Insel an Ausgestoßenen und Künstlern zu bieten hatte. Entzückt vernahm sie, dass die Malerin Romaine Goddard Brooks praktisch nebenan wohnte. Romaine war kurzzeitig die Geliebte D’Annunzios gewesen, der ihr den Beinamen Cinerina verlieh, die «Kleine Graue», da sie vor allem schwarz-weiß malte. Danach hatte sie John Ellingham Brooks geheiratet, einen homosexuellen Dichter und Pianisten. Diese Pro-forma-Ehe erlaubte beiden, das eigene Leben und die eigenen Leidenschaften in aller Ruhe zu verfolgen. Romaine war die Lebensgefährtin von Natalie Barney, einer berühmte Lesbe, die sechzig Jahre lang den begehrtesten Pariser Salon führte, besucht von Auguste Rodin, Rainer Maria Rilke, Colette, James Joyce, Paul Valéry, Anatole France, Robert de Montesquiou, Jean Cocteau, André Gide, Truman Capote, Marguerite Yourcenar oder auch Françoise Sagan. Romaine Brooks hatte sich fern der brillanten Konversationen um ihre Gefährtin auf Capri zurückgezogen, um die Ruhe des Malens zu genießen. Natalie Barney leistete sich das eine
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