Der Zauber der Casati
seinem Sessel und seiner Pfeife zurück und meinte, sich das Problem nun endgültig vom Hals geschafft zu haben. Viel später am Abend wurde erneut geläutet, diesmal war es der Direktor des Hotels Paradiso höchstpersönlich. Mit pathetischer Miene klagte er: «Meine Schwiegermutter ist heute verstorben!» Munthe wusste nicht recht, was er mit dieser Mitteilung anfangen sollte, setzte aber ein dem Anlass gemäßes Gesicht auf: «Mein Beileid.» – «Ich erlaube mir, Sie zu so später Stunde noch zu stören, denn es bleibt mir keine andere Wahl, ich muss Sie beschwören, Sie anflehen, mir Gehör zu schenken!» Der Direktor atmete tief ein und sprach mit bebender Stimme weiter: «Weil doch meine Schwiegermutter heute verstorben ist … Meine Frau und ich … wir müssten alle … Sie begreifen gewiss, wir alle müssten uns an diesem Trauertage innerlich sammeln, aber diese Marchesa, Signore, diese Marchesa lässt uns nicht zur Ruhe kommen! Sie schreit, sie tobt, sie … wenn Sie nur wüssten, Signore!»
Munthe erstarrte; diese Beschreibung der tobenden Casati diente dem Zweck des Hoteliers durchaus nicht. Dennoch schilderte der Ärmste ihm die Kapricen dieser Frau, deren Gipfel darin bestand, dass sie eine Schlange aus einem Koffer holte und sie durch die Hotelhalle kriechen ließ, was allgemeine Panik hervorrief. Kurz und gut, sie wollte keinen Frieden geben, solange Munthe sie nicht in die Villa San Michele einlasse. Flehentlichen Blicks bettelte er ihn an, den Mann mit Herzensbildung, den Gentleman: «Nur für eine Nacht, Signor Munthe! Gleich morgen reist sie nach Rom zurück! Ich gebe Ihnen mein Wort darauf!» Von der Verzweiflung des Mannes gerührt, gab Munthe gegen alle Erwartung nach: «Aber nur, wenn sie wirklich morgen wieder abreist!» – «Oh, danke, Signore!» – «Und wenn sie ihre Koffer außerhalb des Grundstücks lässt!» – «Haben Sie unendlichen Dank, Sie retten uns!» Die Männer schüttelten sich wärmstens die Hand, und Munthe legte sich schlafen.
Natürlich hielt Luisa kein einziges der Versprechen, die man in ihrem Namen gemacht hatte. Einmal in der Villa, ließ sie Munthe in einem ausgesprochen scharfen Brief wissen, dass das italienische Gesetz sie schütze und sie ihre Anwälte bereits informiert habe: Da sie einen ersten Brief in Händen habe, laut dem sie in der Villa erwartet werde und Munthe sie nunmehr eingelassen habe, habe sie das Recht, so lange zu bleiben, wie sie nur wolle. Der Schwede war ihr gehörig in die Falle gegangen. Und zur Strafe für diesen Tag voller Demütigungen sollte Luisa ihm keinen einzigen Centesimo Miete zahlen. So großzügig, ja verschwenderisch sie auch sein konnte, manchmal war sie ein harter Brocken.
Jetzt hatte sie also die Villa bezogen. Auf der das Meer überragenden Loggia kauerte eine ägyptische Sphinx aus rotem Granit und zog die Aufmerksamkeit der Marchesa auf sich. Der Legende nach erfüllte sie einem alle Wünsche, wenn man ihr die Hand auf den Kopf legte. Ganz sicher äußerte meine Luisa einen Wunsch. Welchen? Ich kann mir nur einen denken: die wirkliche, die wahre Liebe kennenzulernen.
A uf Capri hielten sich allerlei Prominente auf. Alfredo Casella, der Pianist, der unter dem Sternenhimmel Konzerte gab, der futuristische Künstler Fortunato Depero, Djagilew und sein neuer Gefährte, der Schriftsteller und Librettist Boris Kochno. Luisa sorgte dafür, dass auch ihr treuer, alternder Geliebter kam, Gabriele D’Annunzio. Sein Zwischenspiel in Fiume hatte ihn erschöpft, aber er war ganz er selbst geblieben und kam mit hundert Blumen aus Muranoglas auf der Insel an, um seine Freundin zu erfreuen. Sie steckten sie überall im Garten der Villa San Michele in den Boden, dann saßen sie zwischen den im Mondschein in all ihrer Zerbrechlichkeit schimmernden kostbaren Kelchen, und D’Annunzio sang Serenaden, die er am Vortag komponiert hatte. Capri war das Paradies des Lasters, die Insel aller Versuchungen, hier kamen Künstler, Ausgestoßene, Homosexuelle aus aller Welt zusammen, um ihre Liebe fern der Gesetze und Verbote zu leben. Auch Oscar Wilde hatte sich mit Alfred Douglas, seinem schönen Lord, hier aufgehalten.
Auf Capri hatte auch Baron Jacques d’Adelswärd-Fersen Exil gesucht, ein Nachkomme jenes Fersen, der einhundertundfünfzig Jahre zuvor eine Liaison mit Marie-Antoinette unterhalten hatte. Den Baron, dreiundzwanzig Jahre alt, hatte ein Prozess wegen Verführung Minderjähriger auf die Insel getrieben. Jetzt verbrachte er
Weitere Kostenlose Bücher