Der Zauber der Casati
fertiggestellt hat.
A m letzten Tag lud Henry mich zum Essen ins Restaurant ein, es war ganz mit weißem Holz eingerichtet, die Vorhänge waren grün gestreift. Ein sehr sauberer, sehr freundlicher Ort, wo man sofort nach Ankunft große Gläser mit eiskaltem Wasser vorgesetzt bekam und die Teller von Rührei, Pancakes und knusprig gewelltem Bacon nur so überquollen. Eine Kellnerin trug einen Teller mit etwas vorbei, das von fern aussah wie das riesige Stück von einem gelben Kuchen, ich zeigte darauf und rief: «Oh, das will ich auch!», und Henry lachte, denn es war ausgerechnet French Toast . Allerdings hatte dieser Arme Ritter nichts mit den getoasteten, in Eiermilch getauchten Brotscheiben gemeinsam, die meine Schwester und ich uns immer am Weihnachtsmorgen machten.
Henry nahm mit bebender Kraft meine Hände zwischen seine und wiederholte unentwegt meinen Vornamen. Als Echo, aber in scherzhaftem Ton, antwortete ich: «Oh! Henry! Henry! Henry!» Ich wusste, dass ich nichts riskierte. Es ist schwierig, jemanden zu verführen, wenn er so tut, als würde er sich nicht für einen interessieren. So nahm der Abschiedsbrunch eine lächerliche Wendung. Es tat mir für ihn leid, ich wollte schnellstmöglich weg. Als Rettungsmanöver erzählte er von seiner Girlfriend , einer Asiatin, Schauspielerin/Top-Model/Kampfkunst-Meisterin, die fünf Sprachen sprach und die er mir als totally fascinating hinstellen wollte. Der arme Alte.
In meinem Tagebuch von 2005 sage ich zu all dem nichts. Mir fehlt die Kraft, um es heute ganz zu lesen, ich habe nur die New Yorker Episode und ein paar Tage darauf nachgeschlagen, um sicherzugehen, dass ich nichts vergessen hatte. Dabei musste ich feststellen, dass ich eine ganze Woche geblieben war, nicht nur vier Tage, wie ich dachte. Am 7. Dezember kam ich an. Offenbar enttäuschte mich der Nebel, denn er verhüllte die Wolkenkratzer, und bekanntlich ist New York ohne Wolkenkratzer öde. Ich berichte von der Suche nach der Federboa und der Pause im Burger King, ich schreibe: «Ich bin mutterseelenallein und gehe der Nase nach.» Den Abend verbrachte ich mit dem Bruder meines Mannes und seiner Freundin, ich bemerke, sie sei «sehr nett und sehr hässlich» und ich hätte «einen schönen Abend» verbracht, was mich überrascht, denn ich konnte ihn nicht ausstehen. Mit gar nicht wenig Begeisterung beschreibe ich einen Probentag. Dann, am 11. Dezember: «Erster richtiger Drehtag, völlig danebengegangen.» Henry sei die ganze Zeit mit Einstellungen beschäftigt, «das Frauchen von dem Leihhund ist komplett durchgeknallt», «Henry verdreht unablässig die Augen gen Himmel und schwört, ich sei genial». Das ist alles. Nun habe ich mein Tagebuch aber nie genutzt, um tiefschürfende Betrachtungen anzustellen. Ich berichte, dass ich den letzten Tag mit Weihnachtseinkäufen verbrachte. Auch das hatte ich vergessen. Jetzt fallen mir die Ohrringe für meine Mutter wieder ein, die ich im Laden des MoMA gefunden hatte. Sie hat sie mittlerweile verloren.
Bei der Rückkehr stellte ich fest, dass ich müde war und wegen des Jetlags einen üblen Geschmack im Mund hatte. Am ersten Abend zu Hause ging ich in die Schauspielschule, den Cours Florent, um weiter an meine Zukunft zu glauben. Offenbar geschah es just an jenem Tag, dass mein Verleger mir ankündigte, der Starmoderator Patrick Poivre d’Arvor habe mich in seine TV-Sendung eingeladen und wolle positiv über mein Buch sprechen. Freude und Hysterie seitens meiner Mutter, die meinen endgültigen Durchbruch gekommen sah. Endlich lief es gut für mich, und ich hatte den verdienten Erfolg. Natürlich musste Caesar am nächsten Tag eine Krise hinlegen. Natürlich. Schreie und Tränen, wie ein Kind. Ich war mit meiner Mutter verabredet, aber er erklärte, dass ich mich nicht genug um ihn kümmerte. Um ihn zu beruhigen, musste ich nachgeben. Meiner Mutter sagte ich ab.
Nach diesem Eintrag hörte ich auf, ich hatte keine Lust weiterzulesen. Wieder einmal hatte er mir eine Freude verdorben. Er konnte sich nie mit mir freuen. Er ertrug es nicht, dass ich es geschafft hatte, ein Buch zu schreiben, und dafür anerkannt wurde.
A xel Munthe, ein bereits etwas schlaff gewordener vierzigjähriger Arzt aus Schweden, war vor ein paar Jahren für einen Aufenthalt nach Capri gekommen und hatte die Insel nie wieder verlassen. Er bewohnte ein luxuriöses Haus und hatte ein zweites erbauen lassen, das er wochen- oder monatsweise vermietete. Die aufs makellose Meer
Weitere Kostenlose Bücher