Der Zauber der Casati
an Natalie Barney schrieb: «Ich hatte noch nie ein so intelligentes Modell.» Luisa liebte die Männer, sie liebte ihre Kraft und die muskulösen Beine, liebte ihre Behaarung, ihren Schweiß und das aufgerichtete Geschlecht. Hier, in der Stille des Ateliers aber, spürte sie etwas, was von Romaine ausging, kaum wahrnehmbar und doch gewaltig, etwas wie eine Wahrheit oder Integrität. Romaine hörte ihr nicht deswegen zu, weil Luisa sie bezahlte, und auch nicht, weil sie eine amüsante Grande Dame war, Romaine lauschte Luisa.
Hätte die Casati eine lesbische Beziehung vorbedacht, so hätte sie sich wahrscheinlich extremes Blondhaar vorgestellt, einen gewaltigen Busen oder ein anderes beeindruckendes Attribut. Romaine Brooks hingegen war nicht besonders hübsch und auch nicht weiter anmutig oder sinnlich, eine kleine, schweigsame Brünette mit nussbraunen Augen.
Romaine erlag ihrem Charme, aber die Marchesa begriff es nicht. Sie hatte gedacht, sie wolle begehrt werden, und jetzt wurde ihr jäh klar, dass sie sich nach sehr viel mehr sehnte. Immer noch ging sie zu d’Adelswärd-Fersen, um auf dessen Diwanen die Einsamkeit zu vergessen und sich in der Abstumpfung zu verlieren. Langsam, langsam trat die Liebe an die Oberfläche und bemächtigte sich ihrer Seele. Sie lebte nur noch für die Porträt-Sitzungen bei Romaine. Was sollte nur werden, wenn die Arbeit beendet war? Wie sollte sie ohne den Blick dieser Frau leben? Zwischen zwei bitteren Zügen aus der Pfeife fasste die Angst sie bei der Kehle. In den beruhigenden Schwaden des Opiums träumte sie davon, wie Romaine und sie sich umarmten, wie Romaine mit ihrem Körper verschmolz. Alles war nur noch Süße. Und da floh Luisa. Ohne Vorwarnung reiste sie nach Rom, das Bild thronte unvollendet in all seiner Größe im Atelier der Malerin, die sie liebte.
War Romaine dennoch erleichtert? Seit einiger Zeit bat sie Natalie Barney per Telegramm, doch nach Capri zu kommen. Barney wusste zwischen den Zeilen zu lesen und kam nicht.
In Rom war Luisa eine Zeitlang fern der Gefahren des Opiums, die abwechselnden Anfälle von Euphorie und Niedergeschlagenheit wurden seltener, und sie versuchte, klar in ihr Herz zu blicken. Würdig und aufrecht kam sie nach Capri zurück, überzeugt, sie habe eine Verirrung überwunden, die allein aus der Möglichkeit herrührte, eine Frau zu lieben. Auf der Schwelle von Romaines Atelier probte sie die Entschuldigung, die sie ersonnen hatte, um die Künstlerin, die sie so unvermittelt verlassen hatte, zu beschwichtigen – doch dann fing sie an zu zittern. So groß sie war, sie spürte, dass ihre Knie sie nicht mehr tragen wollten. Romaine erschien, wurde blass und reichte ihr zögernd die Hand. Haut streifte Haut, Gluthitze schoss Luisa durchs Rückgrat, und die nussbraunen Augen zeigten ihr, dass sie geliebt wurde. Langsam, voller Angst, den Zauber des Augenblicks zu brechen, küssten die beiden Frauen sich. Luisas lange Wimpern schlugen wie die Flügel eines scheuen Schmetterlings, dann gab sie sich der Süße hin, die sie umfing. Alles war jetzt süß.
Als das Bild fertig war, sagte Luisa zu ihrer Geliebten: «Hübsch hast du mich aber nicht gemacht.» Und Romaine antwortete: «Nein, aber nobel.»
Es ist ein merkwürdiges Bild, theatralisch, fast diabolisch. Die Casati erscheint darauf wie eine geschlechtslose Hexe, der blasse, grazile Leib erinnert an den eines jungen Mannes. In grauem Nebel spreizt sie mit ausgestrecktem Arm ihren schwarzen Umhang wie einen Fledermausflügel. Die roten Haare, das harte Gesicht, die umränderten Augen scheinen den Betrachter verhexen zu wollen. Ich mag dieses Bild sehr.
G lückliche Leute haben keine Geschichte». Ich weiß nicht, von wem dieser absurde Gemeinplatz stammt, aber ich habe ihn oft gehört. Dies jedenfalls ist die Geschichte von Luisa und Romaine.
Schönes Wetter herrschte in Capri. Die Sonne schoss ihre Strahlen ab; im Schutz breitkrempiger Hüte lagen die beiden Frauen auf Liegestühlen, aßen Trauben und blickten aufs Meer. Sie gingen Hand in Hand und schilderten einander ihre Kindheit, ihre Kümmernisse und Phantasien. Luisa hatte ihr gestanden, dass sie als Mädchen gern Collagen anfertigte und die Erwachsenen mit ihrer Kreativität verblüffte, dabei waren es doch nur Zeitungsausschnitte und etwas Mehl und Wasser, mit dem Pinsel verstrichen, keine Kunst. Romaine ermunterte sie, wieder damit anzufangen. Sie bat sie, mit dem Opiumrauchen aufzuhören. Die Liebe sei die wirksamste Droge.
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