Der Zauber der Casati
Und Luisa kehrte nicht mehr in d’Adelswärd-Fersens Boudoir zurück. Abends unterhielten sie sich angeregt, die ganze Nacht, bis die Sterne einer nach dem anderen verblassten. Sie erfreuten sich an Nichtigkeiten, hatten keine Lust zu essen, dann wieder starben sie auf einmal vor Hunger. Garbi brachte Platten voll gegrilltem Huhn und Gemüse, mit Olivenöl übergossen. Garbi wachte über ihre Liebe. Romaine erzählte von Natalie, ihrer Zärtlichkeit und unverbrüchlichen Zuneigung, Luisa schilderte van Dongens auf seinen Vorteil bedachten Egoismus und D’Annunzios unersättliche Energie. Manchmal lauschten sie nur still, wie der Wind über den erzitternden Rasen der Villa San Michele strich. Und immer funkelte in ihren Augen das blaue Meer. Die Tage folgten einander ohne jede Monotonie. Dann und wann holte Luisa eines ihrer extravaganten Gewänder aus dem Schrank und zog es zum Amüsement ihrer Geliebten an, die lachte und meinte, sie sehe Luisa lieber nackt. Dann glitt das Kleidungsstück zu Boden, und es gab nichts mehr als die Liebkosungen ihrer warmen, feuchten Leiber. Es war heiß auf Capri.
Luisa wollte mehr als das. Sie nahm Romaine ins Ritz mit. In Paris verliebt zu sein, davon hatte sie so oft geträumt. Capri hatte sie behütet, fern vom mondänen Leben und den Versuchungen des schönen Scheins. Jetzt, in Paris, erhoben Luisas Dämonen wieder ihre Häupter. Gesehen werden, Aufsehen erregen, schockieren, gefallen. Romaine war noch zu hingerissen von ihr, um sich daran zu stoßen, doch zeigte diese Reise ihr jene Casati, die sie gefürchtet, die zu malen sie sich zunächst geweigert hatte. Luisa, die spürte, wie der Blick ihrer Liebsten sich trübte, schlug vor, spornstreichs nach London weiterzureisen. Trudeln, kreiseln, das war die einzig ihr bekannte Abhilfe gegen den Überdruss, der sich bereits einstellte. Sie schifften sich ein. London machte alles noch schlimmer. Romaine mochte die Ruhe, die Spaziergänge im Hyde Park. Luisa wollte kaufen, kaufen, nochmals kaufen. Eines Morgens sprang sie aus dem Bett und beschloss, sie brauche unbedingt ein Orang-Utan-Skelett. Angesichts von Romaines amüsierten Blicken meinte Luisa, hier habe sie endlich ein Mittel gefunden, sie zu zerstreuen. Mit Gabriele hatte das funktioniert: Sich auf die Suche nach etwas Schrägem machen, einen verrückten Einkaufszug veranstalten, Flohmärkte und Antiquitätenläden nach etwas ganz und gar Unsinnigem durchstöbern. Doch Luisa täuschte sich, Romaine war kein exaltierter Dichter. Das äffische Klappergestell fanden sie an jenem Tag nicht, stattdessen geriet Luisa wegen ein paar Ballons ganz außer sich, die so groß waren wie sie selbst. Sie kaufte vier Stück davon, die allen Platz in ihrer Limousine einnahmen. Sie kroch zwischen die Kugeln, Romaine sollte im Taxi nachkommen. An einer Straßenecke ließ sie halten. Sie hatte in einem Schaufenster ein Paar ausgestopfter Uhus entdeckt, die musste sie unbedingt haben, sofort! Dieses Betragen trieb Romaine zur Verzweiflung, die aus dem Londoner Hotel an Natalie Barney schrieb: «Die Casati lebt in einer Gestimmtheit, die das ganze Gegenteil der Liebe ist. Sie begreift nichts von Abstraktion, sie führt sich pubertär auf und langweilt mich immer mehr. Sie will mich ganz und gar für sich und weist den Rest der Welt ab.» Denn je mehr die Marchesa spürte, dass die Malerin sich von ihr löste, desto mehr klammerte sie sich an sie. Sie stritten wegen nichts und wieder nichts, Luisa war grässlich eifersüchtig und wollte nicht dulden, dass Romaine ihre Künstlerfreunde traf, nicht ohne sie und mit ihr auch nicht. Sie wollte den Kokon von Capri wiederherstellen, die Symbiose und Abgeschiedenheit. Mitten in London war das unmöglich. Ihre Versöhnungen auf dem Kopfkissen wurden immer seltener, Luisas Küsse immer brutaler. Sie war wütend auf Romaine. Nachdem sie endlich einmal eine erwiderte Liebe erlebt, ihre Seele verstanden und liebevoll berührt gesehen hatte, ertrug sie es nicht, dass dieses Glück Sprünge bekam. Sie hatte es zu sehr ersehnt, und schon hatte sie es verdorben. Luisa wusste wohl, dass es an ihr lag, dass ihre Durchgedrehtheit, ihre Launen und Schrullen Romaine auf die Nerven gingen. Und Romaine platzte. Luisa bettelte, sagte, sie habe es nicht anders gekonnt, kenne es ja nicht anders, sie schwor, sie werde sich ändern. Romaine warf ihr vor, sich zu verhalten wie ein Mann, nichts von der Liebe zwischen zwei Frauen begriffen zu haben, die «subtil und
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