Der Zauber der Casati
gelassen sein, ruhig und heiter. Jüngst erfuhr ich, dass er herumerzählt, alles sei meine Schuld gewesen. Caesar ist ein Opfer. Immer hat er die ganze Welt gegen sich. Er ist von Geburt an zu schön, zu intelligent und zu reich gewesen. Offenbar will er ein Buch schreiben über all das Schlimme, das ich ihm angetan habe. Soll er. Aber er sollte aufpassen, ich bin eine schlechte Muse.
Eine Muse ist wie ein unbeschriebenes Blatt Papier – eine blanke Leinwand, eine nackte Frau –, das es zu gestalten gilt. Eine Muse ist ein Anstoß, der den Künstler verrückt macht, zum Träumen bringt. Eine Muse ist eine Anstifterin. Bestenfalls hat meine Casati ein paar wenigen den Wunsch eingeflößt, sie zu kopieren. Darin ist sie vorbildlich gewesen. Erschaffen, das heißt, etwas aus dem Nichts entstehen lassen. Das kann nur Gott. Die Antike hat die Instanz der Muse erdacht, damit die Künstler nicht größenwahnsinnig wurden. Der Künstler muss erschaffen, aber er ist derjenige, der einen von anderswoher kommenden Hauch weiterträgt, er ist derjenige, der den göttlichen Geist in konkrete Materie umformt. Künstler, die meinen, es komme alles aus ihnen und nur aus ihnen, sind die eingebildetsten und unglücklichsten. Denn wenn es schiefgeht, können sie niemanden dafür verantwortlich machen außer sich selbst.
E ine Zeitlang gefiel die Casati sich darin, die irrsinnigsten Gerüchte über sich selbst in Umlauf zu bringen. Wenn ein Freund sie dann fragte: «Marchesa, stimmt das etwa?», lachte sie laut, ihre riesigen Augen funkelten, und man wusste nicht, was man denken sollte. Als sie ganz alt war, hieß es, wenn man sie zum Tee einlade, bleibe sie mindestens drei Tage. Ein anderes Gerücht besagte, wenn man ihr etwas schenke, ein hübsch eingebundenes Buch, eine kleine Porzellanvase, ein Glasfigürchen als Schmuck für ihre Wohnung, so setze sie es spornstreichs in eine Flasche Gin oder ein paar Gramm Koks um.
Als Moorea ihre Großmutter kennenlernte, war sie von ihr fasziniert. Cristina warnte ihre Tochter kurz vor der Begegnung: «Ich verbiete dir, deiner Großmutter Geld zu geben, du kannst sie ins Restaurant einladen, ihr Geschenke machen, aber gib ihr bloß nie Geld, und vor allem, bringe sie nicht nach Hause mit, denn sie würde hierbleiben. Und ich will die Kokserin nicht hier haben!»
Es waren also doch keine Gerüchte.
Die letzte Anekdote, die bösartigste und traurigste, besagt, Luisa habe in ihrer Geldnot das Angebot eines schottischen Lords angenommen, der sie anstellte, um seine Gäste zu erschrecken. In weiße Schleiertücher gehüllt, sollte sie Schlag Mitternacht auf den Balkon treten. Diese Geschichte stimmt nicht, ich kenne meine Marchesa. Eine Schauernacht in einem Schloss bei Loch Ness zu organisieren, mit Dienern, an deren Füßen die Ketten rasseln, mit grässlichen Hexen und blutüberströmten Bräuten, das hätte ihr Spaß gemacht. Sie selbst hätte sich wunderbar in Szene setzen können, wäre geisterhaft und mondenblass ganz oben in einem Turm erschienen. Aber sich als Statistin in Lohn nehmen lassen – da wäre sie lieber verhungert.
A n der Adresse Beaufort Gardens 32, ganz in der Nähe des Luxuskaufhauses Harrods, lebt eine alte Dame in der kleinen Wohnung im zweiten Stock. Ein sauberes und aufgeräumtes Apartment. Das schmiedeeiserne Bett wird von ein paar blauen Kissen geschmückt, gegenüber steht ein kleines Kanapee, bedeckt mit einer Tagesdecke aus etwas mottenlöchrigem Leopardenfell. Das Fenster geht auf einen Balkon. Künstliche Blumen in den Balkonkästen, vom Londoner Regen blassgewaschen, neigen sich im Wind. Auf die Stange eines Vogelkäfigs mit verbogenen Streben hat man einen Kanarienvogel aus Pappmaché gesetzt. Gestern hat sie erfahren, dass ihre einzige Tochter gestorben ist. Die alte Frau ist zweiundsiebzig Jahre alt, aber sie wirkt alterslos. Auf dem Tischchen beim Kamin ist mit effektsicherer Hand eine kleine Sammlung aufgebaut, Postkarten – meist Reproduktionen berühmter Gemälde –, vergilbte Fotos, eine große Muschelschale und eine Kristallkugel. In einem Bilderrahmen mit abgeriebener Silberbeschichtung posiert, ein Buch in der Hand, Gabriele D’Annunzio auf einem Foto. Er war der Geliebte der Alten, dessen kann sie sich rühmen, sie ist eine der letzten Lebenden, die ihn einst geküsst haben.
Luisa sitzt an ihrem Tisch und schneidet sorgfältig Figuren aus der Zeitung aus. Sie hat ihr Spiel aus Kindertagen wiederentdeckt. Wenn sie auf der Straße Stapel
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