Der Zauber der Casati
Augen, bis auf einmal die perfekte Kombination hervortrat. Und genüsslich schmiegte ihr leichtherziger Kopf sich in das weiche Kissen. Nur dass es diesmal eben keinen Entwurf von Bakst gab und keine Anproben bei Worth, wo kleine Hände sich an ihrer Taille zu schaffen machen würden, auch gab es statt Diamanten nur Brillanten, und sie musste die Straußenfedern eigenhändig mit Sicherheitsnadeln befestigen. Aber es hätte viel mehr gebraucht, um Luisa Casati am Träumen zu hindern. Sie hatte sich für Winterhalters Bild entschieden, auf dem das Haar der Kaiserin zu einer Krone geflochten auf ihrem Kopf sitzt, mit diamantenen Sternen besetzt. Als ich das Bild sah, war ich ergriffen. Es hatte das Vorbild für die Frisur abgegeben, angesichts derer ich als kleines Mädchen so ins Schwärmen geraten war, der von Romy Schneider als Sissi . Und ich dachte: So trifft man sich wieder, meine Liebe.
Auf Man Rays Foto steht Luisa kerzengerade vor einer Zirkusdekoration aus Pappmaché. Zwei riesige Pferde in Trompe-l’œil-Malerei – der Legende nach Flick und Flock aus Hertels berühmtem Ballett – bäumen sich hinter ihr mehr oder weniger symmetrisch auf. Das Weiß der Pferde bildet einen Kontrast zum schmalen schwarzen Rock der Marchesa. Übertrieben geschminkt, dazu die starre Perücke, die Reitpeitsche und die Federn, so posiert sie, den Blick der erbarmungslosen Frau aufgesetzt, den sie all ihren Porträts mitgeben wollte. Sie ist nicht glaubwürdig. Sie sieht schrecklich aus. Sie sieht aus wie ein heruntergekommener Transvestit.
Meine arme Luisa, die ihre Nadeln verträumt einsticht. Sie ist nicht mehr dieselbe wie einst. Ob sie das weiß? Blicken die Leute sie an jenem Abend herablassend an, verächtlich? Rächen sie sich an der einst so arroganten Frau, die jetzt alles hat verkaufen müssen, bis hin zu ihren Badehandtüchern, um der Justiz zu entgehen? Wir schreiben das Jahr 1936, die Casati ist dreiundfünfzig Jahre alt. Der Ball bei den Beaumonts wird ihr letzter sein. Nie wieder wird sie sich danach auf der Bühne des mondänen Lebens zeigen.
U nd die Jahre gehen dahin. In einem Buch kann man das machen, rasch voranschreiten. Die Anzahl der Minuten eines Jahres aber bleibt immer gleich, und Luisa hatte weiterhin Geldsorgen. Sie konnte sich bei Freunden etwas leihen, sie ließ sich einladen, reiste nicht mehr so weit, mietete kleinere Häuser; sie kam mehr schlecht als recht durch. Eigentlich weiß ich gar nicht genau, wie sie das machte, es gibt keine Quellen, ich kann die Herkunft ihrer Mittel nicht ergründen. Vielleicht stimmte sie am Ende doch, diese Geschichte mit dem Juwelenkoffer.
Am 1. März 1938 war es so weit, Gabriele D’Annunzio, das Wunderkind, der große italienische Poet, starb an einer Hirnblutung. Er war vierundsiebzig Jahre alt, und er hatte es gehasst zu altern. Es reizte ihn nicht im geringsten, als ehrwürdiger Greis mit langem weißem Bart zu enden. Gabriele war kein ergebener Mensch, er sah sich als Soldat, als Flieger, als Getriebener, als Held. Selbst noch halbblind und starr vor Rheumatismus wollte er schöntun und lieben, sich mit ganzem Sein der Poesie und Wolllust ergeben. Er liebte die Geschwindigkeit und Kraft. Schrille Alte mögen rührend sein, aber solche, die sich Koks reinziehen, erregen nur Mitleid. Mussolini hatte ihn im Vittoriale kaltgestellt, fern von allen und allem, er war sehr populär, und der Diktator hatte in ihm einen potenziellen Feind gesehen. Ein vergiftetes Geschenk war diese prunkvolle Wohnstätte gewesen, der Duce hatte ihn glauben machen wollen, es sei eine Ehre, aber D’Annunzio machte sich keine Illusionen über den Charakter dieses erzwungenen Exils. Heute ist Gabriele D’Annunzio beinahe mehr für seine politischen Taten denn für seine Schriften bekannt. Man lästert über die lächerliche Episode in Fiume, darüber, wie er an der Spitze einer Stadtrepublik stand und allabendlich vor seinem versammelten Volk Gedichte deklamierte. Es gibt Fotos, die zeigen ihn Seite an Seite mit Benito Mussolini. Man stellt sich Fragen. Er wechselte ohne weitere Umstände von extrem links nach extrem rechts. Seine Bücher sind kaum mehr im Handel erhältlich, seine Gedichte auf der anderen Seite der Alpen unverstanden. Lust ist noch antiquarisch zu bekommen. D’Annunzio ist ein ausgemusterter Dandy.
Dennoch verlor Luisa in ihm mehr als einen Liebhaber oder einen Freund. Obgleich er die letzten Male, da sie ihn um Hilfe bat, nicht mehr reagiert hatte,
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