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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
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individuelle Freiheit zu lassen, hier wie auch anderswo soll jeder seinen Vorlieben folgen.« Von seinen eigenen Worten mitgerissen, fügte er hinzu: »Ich zum Beispiel liebe Abenteuerbücher und Kostümfilme, weil sie a-mü-sant sind! Und das wichtigste Wort in Kunst und Kultur heißt Vergnügen!«
    Ivan behielt diese Worte, die er in normalen Zeiten mit einem Achselzucken abgetan hätte, im Hinterkopf, weil sie ihn an andere erinnerten. Schon mehrmals hatten ihm Kunden berichtet, manche Leute rümpften die Nase, wenn Der gute Roman erwähnt würde.
    »Ach ja, diese Intellektuellen-Buchhandlung …«
    »Die Oberlehrer …«
    »Altmodisch …«
    Nach solchen Schlammschlachten bleibt immer ein wenig in den Köpfen haften, und immer etwas Negatives: Ach ja, der Arzt, gegen den Klage erhoben wurde. Wer? Ach, der Romancier, dem Plagiat vorgeworfen wurde. Auch wenn sowohl der Arzt als auch der Romancier in der Folge von jedem Verdacht reingewaschen wurden. Irgendeinen Makel dieser Art hatte Der gute Roman wahrscheinlich davongetragen, irgendein bösartiges, pauschales Klischee: Ach ja, diese Langweiler und Spaßbremsen …
    Francesca vergaß eine Verabredung. Van bemerkte, dass sich ihr Gang verändert hatte. Er wagte sie nicht zu fragen, ob es etwas mit Doultremonts Verhalten ihr gegenüber zu tun hatte.
    Eines Tages, als er etwas zu ihr sagte und merkte, dass sie nicht zuhörte, legte er ihr die Hand auf den Arm.
    »Was ist los? Neue Angebinde von sprachlosen Verehrern?«
    »Sie sind der netteste Mensch, den ich kenne.« Francesca lächelte.
    Tränen rollten ihr über die Wangen.
    »Nein«, sagte sie. »Nichts Neues. Ich schlafe sehr schlecht, das ist alles. Daran bin ich gewöhnt. Es ist nicht wichtig. Ich muss keine Prüfung bestehen, keine Entscheidungen fällen. Sie kümmern sich ja um alles in unserer Buchhandlung.«
    »Ohne Sie bin ich nichts.«
    »Aber, aber, das sollte ich eher sagen.«
    »Sie sind meine Inspiration.«
    »Und Sie mein Mut und mein Schwung.«
    »Ich möchte nicht indiskret sein, aber hat Ihr Mann … Zeigt er wenigstens ein Mindestmaß an Solidarität?«
    »Auf seine Art. Er sagte zu mir: ›So ist das Geschäftsleben, meine Liebe. Manchmal sehr aufregend, immer sehr brutal. Da wächst einem ein dickes Fell.‹«
    An einem Donnerstag im Mai fuhr sie am frühen Nachmittag mit dem Wagen zum Auktionshaus Drouot, wo die Bibliothek eines großen Bücherliebhabers versteigert wurde. Die kostbaren Bücher intere ssierten sie nicht, aber die anderen. Neben kostbar gebundenen teuren Büchern wurden an diesem Tag auch mehrere Hundert Romane in ganz gewöhnlichen Ausgaben versteigert, vermutlich die Bücher, in denen der Büchersammler gelesen hatte. In dem betreffenden Posten hatte Van Bücher entdeckt, die nicht mehr lieferbar und schwer aufzutreiben waren.
    Francesca konnte fast alles ersteigern, was sie ausgesucht hatten. Es waren insgesamt drei Kartons Bücher, und sie bat einen der Laufburschen, ihr beim Tragen zu helfen, denn ihr Wagen stand in der Rue Laffitte. Als sie die Fahrertür öffnete, um sich ans Steuer zu setzen, entdeckte sie unter dem Scheibenwischer einen zusammengefalteten weißen Zettel. Werbung, dachte sie und faltete ihn ohne böse Vorahnungen auseinander. Es war ein einfaches weißes Blatt Papier, jemand hatte nur zwei Wörter quer darüber geschrieben, in sehr großen Buchstaben: Sie hier?
    »Das bedeutet, dass man mir gefolgt ist. Dass man gesehen hat, wo ich den Wagen geparkt habe.«
    »Oder dass man Sie erkannt hat. Das ist nun wirklich nicht schwierig. Sie sind jemand, der ins Auge fällt. Aber man kann auch nicht ausschließen, dass ein Irrtum vorlag und der Zettel für jemand anderen bestimmt war.«
    »Dann hätte man ihn unterschrieben – und wäre es nur mit einer Initiale. Geben Sie sich keine Mühe, Van. Dieses Briefchen war für mich, und sehr fein abgestimmt, das müssen Sie zugeben. Maßgeschneidert. In einem anderen Zusammenhang wären die Worte freundschaftlich und verspielt gewesen. Doch hier bedeuten sie: Keiner Ihrer Schritte entgeht uns, wir haben Sie im Auge.«
    »Stimmt, da hatte jemand einen guten Einfall. Wenn Sie diesen Zettel einem Polizisten zeigen, lacht der Ihnen ins Gesicht. Könnte ja glatt ein Liebesbriefchen sein.«
    »Mit wie wenig man doch das Leben eines Menschen sabotieren kann … Wie schnell es geht. Wie einfach. Zwei gar nicht bedrohliche Wörter auf einem Stück Papier, und man misstraut allem, man bricht mit seinen harmlosesten

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