Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Gedicht gesetzt, bei jedem »Bücher« wurde eine neue Zeile begonnen:
Bücher, die da sind wie Nahestehende …
Bücher für die Nächte …
Bücher, die Gewicht haben …
Und auch bei jedem »Wir können, wir wollen«:
Wir können mit belanglosen …
Wir wollen keine hastig zusammengeschusterten Bücher …
Wir wollen Bücher …
Man sah diese Seite überall hängen, in Bibliotheken und Kinoeingängen, an den Fensterscheiben der Cafés und in vielen Buchhandlungen. Ich habe immer einen Packen davon in der Tasche , teilte Anis Ivan in einer Mail mit, und verteile sie an alle möglichen Leute.
Francescas Bekenntnis zum guten Roman wurde sogar in Form eines sehr schmalen und außerordentlich schönen Büchleins veröffentlicht. Es enthielt ein kurzes Vorwort, in dem der Kontext umrissen wurde, und mehrere Blankoseiten, die gleich die Lust weckten, Zitate und Buchtitel zu notieren. Auf dem sanft blauen Umschlag stand nur Der gute Roman .
Francesca erhielt das Büchlein mit der Post, an die Adresse in der Rue de Condé. Das beunruhigte sie.
»Ist meine Adresse jetzt etwa allgemein bekannt? Und warum liegt überhaupt kein Begleitschreiben bei?«
»Kein Begleitschreiben? Da würde ich mir keine Sorgen machen«, sagte Van. »Wahrscheinlich kommt es von einem Verehrer, der vierzig Mal eins angefangen und keins zu Ende gebracht hat. Oder ein Nachbar, was weiß ich, ein Junge von dreißig Jahren, der Sie schon lange kennt.«
Francesca schüttelte den Kopf.
»Inzwischen habe ich vor allem Angst«, sagte sie.
»Kein Wunder, nach solchen Angriffen. Ich habe keine Angst mehr. Ich bin davon überzeugt, dass Ihr Text der Sache ein Ende gesetzt hat. Auseinandersetzungen wie die, in deren Mittelpunkt wir standen, können von einem Tag auf den anderen aufhören, wissen Sie, das ist schon oft vorgekommen. Die Leute regen sich auf, und dann verlieren sie das Interesse. Es gibt doch jeden Monat ein neues Thema, über das sie sich echauffieren können.«
Tatsächlich erschien in der Presse kein Artikel mehr über die Buchhandlung. Was wäre auch noch zu sagen, was nicht längst gesagt wurde, dachte Ivan, der durchaus auch seine trüben Stunden hatte.
Auch im Internet war der Streit in sich zusammengefallen. In den Foren, die mit dem Guten Roman zu tun hatten, ging es wieder um Bücher und Literatur. Jane Austen erlebte einen Aufschwung in der Lesergunst, weil zwei ihrer Romane sehr erfolgreich verfilmt worden waren. Auch über Anna Maria Ortese wurde viel gesprochen, weil Alonso e i visionari , der Roman, in dem sie zwei Jahre vor ihrem Tod in ihrem typischen verzweifelten und fantastischen Stil die bleierne Zeit Italiens beschrieben hatte, gerade in der französischen Übersetzung erschienen war. Wer Christian Oster liebte, freute sich über dessen neuen Roman Mein blindes Schicksal , und Stéphane Audeguy machte mit seinem meisterhaften Erstling Der Herr der Wolken von sich reden.
Trotz allem war Francesca nicht beruhigt. Sie sah keinen Grund für die Feinde der Buchhandlung lockerzulassen. Zu welchem Mittel greift ein Barbar nach dem ideologischen Prozess und nach dem persönlichen Angriff? Zur physischen Aggression? Zur Erpressung? Wird er tätlich?
Ein Traum machte ihr so viel Angst, dass sie mehrere Tage brauchte, um sie zu überwinden. Der gute Roman war in Brand gesetzt worden. Alles verbrannte, und wie im Traum zerfiel in einer tiefen Stille alles zu Asche. Weder von den Mauern noch von den Büchern war etwas übrig geblieben.
Ivans Sorgen gingen in eine andere Richtung. Vielleicht schien sich die Kontroverse beruhigt zu haben, weil die Verleumder ihr Ziel erreicht hatten. Dieser Gedanke war ihm im Anschluss an eine Erklärung des Kulturministers gekommen – wobei es sich nicht um eine förmliche Stellungnahme zur Buchhandlung Der gute Roman gehandelt hatte, sondern um einen kleinen Satz am Ende einer Pressekonferenz über den Kulturhaushalt, als er beiläufig nach dem Kulturgut Buch gefragt wurde, es war lediglich eine Anspielung auf »gewisse Leute im Buchhandel, die es lieber hätten, wenn die Kultur nur aus Sublimem bestünde«. »Wenn es Gipfel gibt«, hatte der Minister gesagt und das Bild nach Art eines vom Festbankett beschwipsten Politikers fortgesponnen, »dann gibt es auch Berge. Kultur sind sie alle. Kein Gipfel ohne Sockel, ohne sanfte Hänge und Wiesen auf weniger schwindelnden Höhen. Der Geist der Demokratie besteht darin, alles zu lieben, alles mitzutragen, alles wertzuschätzen und jedem die
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