Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
höchstem Niveau, jede Geste, jedes Wort.
»Und wenn es eine Buchhandlung wäre? Dann könnte es nur Der gute Roman sein. Denn die Dame hat Marotten, sie hatte schon viele, und sie liebt die Abwechslung. Wie ein ihr Nahestehender sagt: ›Sie ist immer für ein oder zwei Jahre entflammt; sie interessierte sich für die Stiftung zum Gedenken an ihren Großvater, für den Palazzo Valbelli auf einer Insel im Ortasee – sie ließ das Gebäude perfekt restaurieren –, für einen jungen norwegischen Bildhauer und für ihre Tochter. Und im letzten Jahr leistete sie sich eine Buchhandlung, die nicht so sein durfte wie alle anderen, sondern die schönste, eleganteste und elitärste der Welt sein musste.‹«
»Das wird wieder vergessen«, sagte Ivan. »Das geht vor bei. Solche Sachen reißen einem die Haut auf, aber es verheilt irgendwann und tut nicht mehr weh. Ich glaube nicht, dass Der gute Roman deshalb anders wahrgenommen wird. Dieser Artikel ist so weit von allem entfernt, was jeder, der auch nur ein Mal einen Fuß in unsere Buchhandlung gesetzt hat, weiß.«
Nach dem Erscheinen des Artikels war Francesca zwei Tage lang verschwunden. Sie hatte geschrieben, wie sie Van mitteilte. »Ich fühlte mich wie von einer Hundemeute gestellt, ich musste nach einer Antwort suchen, sonst hätte ich es nicht ausgehalten. Was mir so wehgetan hat, ist nicht, was in diesem Artikel über meine Familie steht. Nur eine Stelle macht mich verrückt.«
»Ich weiß«, sagte Van.
»Ihre Tochter … Sie interessierte sich für ihre Tochter, so nebenher, zwischen zwei Fimmeln, in der Vergangenheit: Es ist vorbei. Böser hätte man mich nicht treffen können. Diese ach so kurze Anspielung täuscht Diskretion vor – wir wollen diese Tragödie jetzt nicht erwähnen –, aber sie gibt sehr klar zu verstehen: Diese Frau hat durch ihre Leichtfertigkeit das Unglück ihrer Tochter heraufbeschworen. Voilà, das ist es, was man herausliest, auch wenn man nichts über mein Leben weiß. Sie haben mir wirklich eine glühende Nadel ins Herz gestoßen, und ich will lieber gar nicht erst erfahren, wer der betreffende Nahestehende ist – wenn es ihn überhaupt gibt.
Ich habe lange geschrieben, wie es wirklich war, wer Violette war und wie sehr ich sie liebte. Stundenlang, ohne den Stift aus der Hand zu legen, mehr als hundert Seiten.
Und dann, im Laufe der Stunden wurde mir klar, dass im Ponte nicht nur jemand als dummes Gesellschaftsgänschen lächerlich gemacht wird, sondern dass auch Der gute Roman auf ganz perverse Art und Weise diffamiert wird. Indem man meinen angeblichen Snobismus angreift, entwertet man alles, womit ich zu tun habe. Ich hatte es Ihnen vorausgesagt, erinnern Sie sich? Allerdings habe ich nicht vorhergesehen, dass man so grausam sein würde. Im Grunde denkt dann jeder: Das ist alles nur Oberflächlichkeit, das ist alles nur schrecklich elitär.
Schließlich habe ich etwas anderes zu schreiben begonnen. Was ich über meine Tochter geschrieben habe und eigentlich zu veröffentlichen gedachte, behalte ich für mich. Das braucht niemand zu lesen. Aber das, was ich danach geschrieben habe, möchte ich erscheinen lassen. Da, lesen Sie.«
Sie hielt Ivan einige handbeschriebene Bogen hin.
»Wo waren Sie?«, fragte der.
»Am Montmartre gibt es ein kleines Benediktinerinnenkloster, dort hat man mich schon einmal aufgenommen, als ich am Ende war.«
Eine Woche später erschien Francescas Text unter ihrem Namen in Le Ponte . Die Zeitung gab sich unparteiisch. Vor allem aber dürfte es darum gegangen sein, Francescas Zeilen im eigenen Blatt zu veröffentlichen, statt sie bei der Konkurrenz lesen zu müssen.
»Im letzten Jahr eröffneten Ivan Georg und ich in Paris eine Buchhandlung und gaben ihr den Namen Der gute Roman , um Sinn und Zweck klarzustellen.
Das Projekt stieß auf viel Verständnis und entsprach wohl einem Bedürfnis, denn es hatte sofort Erfolg.
Wer kann sich durch diese Buchhandlung behelligt fühlen? Wer empfindet einen solchen Zorn auf uns, dass er uns zerstören will? Seit vier Monaten sind wir in der Presse und im Internet heftigen Angriffen ausgesetzt.
Um uns zu verunglimpfen, berief man sich auf unsere angeblich elitäre Haltung, auf unser Eintreten für literarische Qualität, das reaktionär sei, auf eine dubiose Verbindung der Buchhandlung zum Großkapital und jüngst auch auf uns, auf Ivan Georg und mich, und auf unsere Vergangenheit.
Hier liegt ein großer Irrtum über unsere Ziele und über das vor, was Der
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