Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Gewohnheiten, man fährt nicht mehr mit seinem Wagen …«
»Halten Sie stand, Francesca. Ich bitte Sie. Ändern Sie nichts an Ihrem Leben. Sonst zeigen Sie, dass dieser Giftpfeil Sie getroffen hat, und die Barbaren können einen Punkt für sich verbuchen. Wollen Sie das wirklich?«
»Nein. Sie haben recht. Ich benutze meinen Wagen sehr selten, und ich werde ihn in Zukunft weder seltener noch häufiger benutzen. Ich werde Paris nicht verlassen, ich werde meinen Concierge nicht verdächtigen und auch nicht Oscar oder Henri. Und sehen Sie her, ich annulliere diese Botschaft, ich mache sie zunichte.«
Sie riss den Zettel in kleine Fetzen.
»Wie dumm von mir«, sagte sie. »Das hätte ich in der Rue Laffitte tun sollen. Wahrscheinlich wurde ich beobachtet. Das war es, was ich hätte tun sollen.«
»Haben Sie diesen Zettel wirklich zerrissen?«, fragte Heffner.
»In ganz kleine Stückchen. War das falsch?«
»Eine handgeschriebene Botschaft ist immer interessant. Aber Sie haben vielleicht noch mehr solcher Zettel?«
»Ich glaube nicht«, sagte Francesca langsam.
»Nein«, sagte Van.
38
D ann war das Wetter mit einem Mal jeden Tag schön, der Winter, der endlose pariserische Herbst-Winter wurde von einer wirklich schönen Jahreszeit vertrieben, es war wie ein neuer Akt in einem Theaterstück. Alle Knospen von Paris sprangen nahezu gleichzeitig auf. Der Baum im Hof in der Rue Dupuytren verschwand unter cremefarbenen Blüten.
Die Buchhandlung war wunderbar kühl. Francesca ließ riesige barocke Blumensträuße aufstellen, weißen Flieder mit grünen Rosen in den zwei Wochen, in denen der Flieder blühte, dann blühende Kastanienzweige, tabakfarbene Iris, Pfingstrosen … Die Blüten leuchteten wie Edelsteine aus dem Laubwerk, das an die Federkreationen berühmter Hutmacher erinnerte.
Ivan fragte sich, wie er fertiggebracht hatte, sich sein Leben lang nicht für Blumen zu interessieren. Er fragte Francesca nach der Herkunft dieser Kunstwerke. »Sie ist eine Zauberin«, sagte Francesca. »Sie sind nicht der Erste, den sie erweckt.«
Es handelte sich um eine sehr alte Türkin, die schon seit fünfzig Jahren als Floristin arbeitete und sich in einer Art Lagerraum hinter der Place Maubert eingerichtet hatte. Diese geniale Blumen-Arrangeurin hatte kein Geschäft. Sie arbeitete für Privatkunden, die ihr schwören mussten, ihren Namen nicht weiterzugeben. Sie suchte sich ihre Kunden lieber selbst aus. Die Bewerber wurden ihr einzeln vorgestellt. Die Treffen fanden im Jardin des Plantes statt. Die alte Dame brauchte keine fünf Minuten für ihre Entscheidung. In acht von zehn Fällen lautete die Antwort Nein.
Francesca stellte ihr Ivan an derselben Stelle, oben am Labyrinth, vor, an der sie selbst im Winter in den Kreis der Auserwählten aufgenommen worden war, und ließ die beiden allein.
»Erzählen Sie mir von der jungen Dame«, sagte die alte Dame ohne lange Vorreden und musterte den Liebeskranken eher streng als mitfühlend.
»Klein, rosig, verstörend« – Ivan war wieder fünfzehn – »sanft und hart. Rätselhaft.«
»Ich verstehe«, sagte die Floristin mit der Autorität eines berühmten Chefarztes.
Und ohne dem etwas hinzuzufügen, wandte sie sich schon zum Gehen. Ivan folgte ihr in ihre Höhle. Dort zeigte sie mit derselben Autorität auf ein in einen Topf gepflanztes Bäumchen, es war übersät mit goldenen Blüten, die aussahen, als wollten sie jeden Moment entschweben.
»Der hat schon Erstaunliches bewirkt. Es liegt am Duft«, erklärte sie wie ein Taschenspieler, der seine Tricks erklärt, aber dennoch nichts verrät.
Van gab ihr Anis’ Adresse. Die alte Dame hatte einen laotischen Boten, und der wiederum ein selbst gebautes Dreirad mit einem Kasten, eine Art kleiner fahrbarer Schrank in der Größe eines sehr großen Blumenstraußes.
Van wartete auf ein Zeichen, eine Inspiration, kurzum: auf ein Wunder. Zwei Tage hielt er es aus, dann nicht mehr. Warum gerade jetzt? Warum am Abend des zweiten Tages? Wenn jemand den Grund kannte, so jedenfalls nicht er. Die Floristin vielleicht? Er hatte keine Linie mehr, keine Hoffnung, nur noch eine Art unhaltbarer Sicherheit, ein summarisches, überwältigendes: So geht das nicht weiter!
Nicht selten werden die von Amor inspirierten Strategien, die ja immer zu den ausgefeiltesten gehören, mit einem Mal, ohne Berechnung, ohne warnende Vorzeichen, umgestürzt. Einfach so, ohne Grund. Oder aber, um einem fast schon bewussten Katastrophendrang zu
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