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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
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Nur dort, in diesem aufs Geratewohl abgestellten Auto, fühle sie sich wirklich allein. Allein und frei im eigentlichen Sinne, frei von Bindungen, vom Alltag.
    »Aber das wusste niemand«, sagte sie. »Sie sind die Erste, der ich es sage.«
    Francesca unterbrach sie.
    »Verzeihen Sie. Ich sehe, wie verstört Sie sind. Ich wollte Sie unter anderem deshalb gern möglichst umgehend treffen, weil ich Ihnen etwas zu sagen habe, was Sie ein wenig beruhigen dürfte.«
    Der Pseudoverkehrsunfall werfe drei Fragen auf, erklärte Francesca. Wie habe man herausgefunden, dass Anne-Marie im Wagen schrieb? Wie habe man herausgefunden, dass sie unter dem Namen Ida Messmer publiziere – denn Anne-Marie habe doch in Montsoreau erklärt, wie wichtig diese Anonymität für sie sei und wie sehr sie darauf achte, dass der Schutzschirm intakt bleibe? Und drittens, wie habe man herausgefunden, dass sie zum Auswahlkomitee des Guten Romans gehöre?
    »Ich denke einfach laut nach«, sagte Francesca. »Es ist gar nicht so sicher, dass man Sie auf der Straße angegriffen hat, weil man wusste, dass Ihr Wagen der Ort Ihrer Inspiration ist. Schließlich ist die Straße auch der Ort, an dem Sie sich täglich in Gefahr begeben, Ihre Autofahrten sind Ihre einzige absolut berechenbare und noch dazu gefährliche Tätigkeit und ermöglichen daher die genaue Planung eines Attentats.
    Zudem ist keineswegs sicher, dass die Barbaren wussten oder wissen, dass Anne-Marie Montbrun und Ida Messmer identisch sind.
    Diese Überlegungen wurden übrigens erst gestern von einem anderen Komiteemitglied angestellt, in einem Gespräch mit Ivan. Von einem der beiden anderen Opfer. Und ich finde, es klingt gar nicht so dumm.
    Sicher ist nur, dass die Unbekannten es auf Anne-Marie Montbrun abgesehen hatten, und ziemlich sicher, da sie ja auch zwei weitere Komiteemitglieder im Visier hatten, weil sie von Anne-Marie Montbruns Mitgliedschaft erfahren haben. Aber das heißt nicht, dass sie Anne-Marie mit Ida Messmer gleichsetzen.«
    »Dann wäre für mich alles anders«, sagte Anne-Marie langsam. »Für den Guten Roman ist der Anschlag auf das Komiteemitglied Collet Monté schlimm. Für mich war es auch nicht lustig, aber ich sage es Ihnen, wie ich es empfinde, es wäre viel schlimmer gewesen, wenn man mich als Ida Messmer hätte treffen wollen.«
    Francesca wirkte verblüfft.
    »Es ist schwer zu erklären.« Anne-Marie stieg eine leichte Röte ins Gesicht. »Ich war immer davon überzeugt, dass ich nicht mehr weiterschreiben könnte, wenn jemand in meiner Umgebung erführe, was ich schreibe.« Sie schwieg kurz, dann sagte sie: »Wenn noch jemand es wüsste außer dem, für den ich schreibe. Sie werden es verstehen. Ihnen kann ich es sagen.«
    Der Adressat von Anne-Marie-Idas Schreiben war zugleich auch ihre Inspirationsquelle.
    »Das kommt ja häufig vor«, sagte die junge Frau. »Er ist auch meine Hauptgestalt, das Du und Er von allem, was ich schreibe. Ich bin seit zwölf Jahren mit ihm verheiratet, aber ich sehe ihn immer nur für einige Tage im Monat.«
    Arthur Montbruns Beruf war die Ursache für dieses vor allem aus Warten bestehende Eheleben. Und die Zwänge waren nicht nur hartes Gesetz gewesen, sondern eine Freude, wie Anne-Marie sagte. Seltenheit bedeutete für sie auch Begehren, Intensität, Erfindungsreichtum. Sie ließ sich Kulissen einfallen und Szenen, sie schrieb. Es waren immer nur Briefe, die sie abschickte oder auch nicht, eine Art endloser Brief, sagte sie. Arthur hatte Gefallen an diesem Spiel gefunden, auch für ihn war es ein Gewinn.
    »Nun ja«, sagte Anne-Marie, inzwischen hochrot, »Sie kennen meine Bücher. Sie verstehen: Das, was ich schreibe, schreibt sich von allein. Ich habe nie schreiben wollen .«
    Und wenn dieser Mechanismus bekannt würde, wenn man in ihrer Umgebung erführe, wer die Autorin der recht speziellen Bücher Ida Messmers war, wer die Liebenden in Wirklichkeit waren und wie sie Fantasie, Erotik und Diskretion miteinander verwoben, dann, so hatte sie es immer im Gefühl gehabt, würde sich diese Geschichte nicht weiterschreiben. Dann würde nie wieder ein Buch von Ida Messmer erscheinen.
    Seit ihrem Unfall hatte sie wie eine Amputierte immer wieder an ihr Leben gedacht, wie es früher gewesen war und nie wieder sein würde.
    »Wenn Sie mir also sagen, man habe vielleicht hinter Collet Monté Anne-Marie Montbrun erkannt, nicht aber Ida Messmer, man habe Ida und ihre Bücher gewissermaßen übersprungen, dann schenken Sie mir das

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