Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
zu feiern, was L’Exact – und bald auch alle anderen – »die Straße der guten Romane« nannte. Dieses Mal wurde die Neuigkeit weniger von den Tageszeitungen verbreitet als von der Boulevardpresse. Dieses Trio von Buchhandlungen war offenbar ein gefundenes Fressen für die Freizeit- und Wochenendseiten und für die Pariser Stadtbeilage. In den verschiedensten Blättern konnte man unter den Fotos der drei Ladenschilder zehnzeilige Pseudoreportagen lesen. Nein, die Buchhandlungen würden nicht aus dem Stadtzentrum vertrieben. Ja, die räumliche Nähe wirke wie ein Multiplikator auf die Kauflust: So, wie man in die Rue Montgallet gehe, wenn man Computerzubehör brauche, oder in die Rue de Paradis, wenn man sich nach Glas und Porzellan umschaue, so gehe man nun in die Rue Dupuytren, um sich mit Romanen einzudecken.
War das nun Faulheit oder Dummheit? »Das werden wir nie erfahren«, sagte Van. »Aber bravo, die Presse ist stets zur Stelle, wenn es gilt, die allgemeine Konfusion noch zu steigern.«
Er sagte es mit umso größerem Nachdruck, als er dahinter eine Strategie zu sehen glaubte, die auf den Konformismus und die mangelnde Neugier der Menschen setzte. Als Drahtzieher stellte er sich einen oder mehrere der Menschen vor, deren verschleiertes Porträt Heffner ihnen gezeichnet hatte, einen Verleger von todsicheren Bestsellern oder einen Medienliebling, der einen Kulturabteilungsleiter zum Mittagessen einlädt oder einen ergebenen Journalisten anruft und am Ende des Gesprächs beiläufig fallen lässt: »Haben Sie das gesehen, ist doch toll, da am Odéon, in der Rue Dupuytren, drei außergewöhnliche Buchhandlungen auf dreißig Metern! Der gute Roman hat Schule gemacht!«
Van sprach nur mit Heffner – und später auch mit mir – über seine Annahmen. Francesca wies er nur auf die beiden Artikel hin, die einen klaren Unterschied zwischen dem Guten Roman und den beiden Neugründungen machten, einen kleinen, aber bissigen Beitrag in L’Humanité und einen eher amüsierten auf der Meinungsseite der Herald Tribune .
Doch Francesca las sie beide nicht, sagte mir Van, genauso wenig wie die Pseudoreportagen über die »Straße der guten Romane«.
53
Z u diesem Zeitpunkt – Mitte Februar – rief eines Tages am sehr frühen Nachmittag Heffner Van an und bat ihn, unverzüglich mit Francesca zu ihm ins Büro zu kommen.
Doch sie trafen sich dann doch nicht am Quai des Orfèvres. Heffner hatte sein Büro gleich nach dem Anruf verlassen. Er stand am Ende des Pont Saint-Michel und trat von einem Fuß auf den anderen, bis er Ivan und Francesca kommen sah. Er ging ihnen entgegen und schlug ihnen einen kleinen Spaziergang vor. Es war ein grauer und kalter Tag, noch einer. Es sollte schneien, schon wieder. Heffner bog entschlossen auf den Quai SaintMichel ein und führte sie in Richtung Notre-Dame.
»Was ich Ihnen zu sagen habe, passt in zwei Sätze«, sagte er.
Er blieb stehen, als wolle er auf die Seine schauen. Van und Francesca stützten sich neben ihm auf das Geländer.
»Der Richter hat die Sache abgeschlossen. Seiner Meinung nach hat die Untersuchung lange genug gedauert. Das wird er Ihnen mitteilen.«
»Ist Ihnen der Fall abgenommen worden?«, fragte Francesca.
»Nicht einmal das. Die Ermittlung endet mit dem Ende der gerichtlichen Untersuchung. Der Richter findet die Anklagepunkte nicht schwerwiegend genug und den Verdacht nicht hinlänglich präzise, um die Justiz einzuschalten. Es wird nichts mehr unternommen. Niemand verfolgt.«
»Der Richter …«, sagte Van. »Haben Sie ihn über alles informiert, was Sie herausgefunden haben?«
»Dazu war ich verpflichtet. Ich habe ihn Gott weiß wie oft aufgesucht. Ihm lagen meine sämtlichen Ermittlungsunterlagen vor. Er weiß inzwischen fast so viel über diese Sache wie ich.«
Francesca schlug den Mantelkragen hoch.
»Und er meint, es gäbe keine ausreichende Grundlage für ein Rechtsverfahren? All das, was Der gute Roman ertragen musste, diese Angriffe, die Verleumdungen, die Mordanschläge, ist das seiner Meinung nach zulässig?«
»Das hat er nicht gesagt. Ich habe ihm genau diese Frage in ziemlich genau demselben Ton gestellt, und er hat mir etwas oberlehrerhaft die Formel der Einstellungsverfügung um die Ohren gehauen: ›Aus den vorliegenden Informationen lassen sich gegen niemanden hinreichende Anhaltspunkte für das Zutreffen des in der Anzeige erhobenen Vorwurfs des mehrfachen Mordversuchs ableiten.‹«
Die Seine unter ihnen war hoch und böse und
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