Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Regen hatte aufgehört. Auf dem Carrefour de l’Odéon löste sich eine Menschenansammlung auf. Die Fahrspur vom Boulevard Saint-Germain zur Rue Saint-Sulpice war gesperrt. Unten am Boulevard hinderte ein Polizist die Autofahrer daran einzubiegen. Mitten auf der Straße stand, leicht schräg, ein Bus, daneben ein Polizeiwagen. Ringsum ein halbes Dutzend geschäftiger Menschen, teils uniformiert, teils in Zivil, sie telefonierten, hantierten mit Maßbändern und machten sich Notizen.
Der Bus war leer. Sogar der Fahrer war nicht mehr an seinem Platz. Als Van näher kam, sah er am rechten vorderen Kotflügel, in einem Geviert aus vier Pflöcken und Plastikband, eine Kreidezeichnung auf dem Asphalt.
Dieses Mal wurde die Untersuchung bis zum Ende durchgeführt, und es ging schnell. Nun hatten wir unseren Toten. Es war ein Unfall, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Der Busfahrer hatte Francesca auf sich zulaufen sehen, als sei der Bus unsichtbar gewesen. »Sie machte große Schritte und sah starr vor sich hin«, sagte er. »Sie nahm ihre Umgebung gar nicht wahr.«
Der Arme konnte sich nicht davon erholen. Er hatte gehupt, doch da war Francesca bereits gestürzt. Sie lag den Tag über im Koma, in der Nacht starb sie.
Van war verzweifelt. Er hatte sie gedrängt, in die Buchhandlung zu kommen. Er dachte, er sei schuld an ihrem Tod.
Ich sagte ihm immer wieder: Es war ein Unfall. An einem Unfall ist niemand schuld. Er fing immer wieder damit an: Ohne ihn wäre Francesca nicht in einem derart geistesabwesenden Zustand über diese gefährliche Kreuzung gegangen. Ich versuchte ihm zu erklären, dass er weder für die grundlegende Ermattung unserer Freundin etwas könne noch für ihre schlaflose Nacht.
Am Nachmittag dieses 9. März sah ich ihn wieder und wieder die Hände zu Fäusten ballen, ohne dass er etwas sagte. Er überlegte, ob er zum Zeichen der Trauer die Buchhandlung schließen solle. Doch dann kam er von dem Gedanken ab. Francesca wäre damit nicht einverstanden gewesen.
Ich musste ihn davon abhalten, zu den neuen Buchhändlern in der Rue Dupuytren zu gehen und sie zusammenzuschlagen. Er sprach davon, mit roter Farbe auf ihre Schaufenster zu schreiben: Am 9. März zur Mittagszeit wurde Francesca Aldo-Valbelli ermordet.
Ich war selbst am Ende, ich sagte nichts mehr. Ich nahm nur seinen Ellbogen und legte ihm den Arm um die Schultern.
Henri Doultremont wird für uns ein Rätsel bleiben. Van sprach ihn an den Tagen darauf mehrere Male, einmal sogar unter vier Augen. Auch ich sah ihn, in der Buchhandlung und am Tag der Beisetzung. Und wir beschrieben ihn mit demselben Wort. Dieser Mann war verstört.
Das Gespräch unter vier Augen zwischen Van und ihm fand am Tag nach dem Unfall statt. Doultremont kam in die Buchhandlung und fragte, ob er Ivan Georg sprechen könne. Ich führte ihn in das große Büro im ersten Stock, das Van kaum noch verließ.
Das Gespräch dauerte fünf Minuten. Van sagte mir fast nichts darüber. Nur eine Kleinigkeit, unmittelbar danach: Doultremont war gekommen, weil er ihm anbieten wollte, bei Francescas Trauerfeier eine kurze Ansprache zu halten. Van lehnte das Angebot ab. Er wusste, dass er bei dieser Messe nicht vor einem Publikum würde sprechen können.
Später, nach mehreren Wochen, kam er noch einmal auf das kurze Gespräch unter vier Augen zurück. »Danke«, habe Doultremont beim Hinausgehen gestammelt. Van hatte ihn hart angesehen. »Wofür?« Doultremont hatte nicht geantwortet.
Die Buchhandlung wurde nur am Tag ihres Begräbnisses geschlossen. An den Eingang hatten wir ein Schild gehängt: »Heute wegen besonderer Umstände geschlossen.« Van wollte unbedingt alles vermeiden, was nach »Trauerfall« klang. Oscar hatte vorgeschlagen, nur Francescas Namen und das Datum ihrer Geburt und ihres … Van war ihm ins Wort gefallen. »Ganz bestimmt nicht«, hatte er gesagt, aber keine Erklärung dazu abgegeben.
Ich habe Doultremont nach der Messe in Saint-Germain-des-Prés nicht wieder gesehen. Ich meine, nie wieder.
In der Kirche waren sehr viele Menschen, und danach auch am Ausgang, obwohl es regnete. Das gesamte Komitee war da, sie hatten sich einzeln unter die Anwesenden gemischt. Doultremont brach unmittelbar nach der Messe auf. Es hieß, er habe noch einen weiten Weg vor sich, denn Francesca solle in Italien beigesetzt werden. Wo genau, wussten außer uns nur wenige: auf der Insel im Ortasee, die sie so sehr liebte und auf der ich heute meinen Bericht beende.
Nein, ich
Weitere Kostenlose Bücher