Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
gut. Natürlich ist es jetzt nicht mehr möglich, weitere Titel ins Sortiment aufzunehmen, ohne andere Titel auszusortieren. Wir haben einfach nicht genug Platz. Das Aussortieren fällt uns schwer, aber wir haben keine Wahl.
Marie Noir hatte eine gute Idee. Wir haben eine Kartei mit den Titeln erstellt, die wir gern im Guten Roman hätten, aber nicht vorrätig haben können. Wenn einer unserer Kunden sich besonders für einen Autor, eine Gegend oder ein Jahrhundert begeistert, findet er in dieser Kartei, wie in einer Art Dependance, noch eine ganze Reihe von Titeln. Es ist eine altmodische Kartei mit kleinen Kärtchen in einem großen Holzkasten. Darüber haben wir ein Schild gehängt: »Diese Bücher können wir Ihnen in wenigen Tagen besorgen.« Und natürlich steht dieser Karteikasten, diese Dependance, auch im Internet. Für die Online-Besteller macht es zeitlich kaum einen Unterschied, ob sie einen Roman aus der Buchhandlung oder aus dem virtuellen Sortiment bestellen.
Heffner führt seine Ermittlungen weiter, aber im Geheimen. Ohne Auftrag ist es natürlich schwieriger. Er braucht doppelt so viel Beharrlichkeit, Zeit und Glück. In einem Punkt hat er inzwischen Gewissheit. Und der ist wichtig. Er ist davon überzeugt, dass Doultremont zu Francescas Lebzeiten nichts gegen den Guten Roman unternommen hat.
Vielleicht werden wir Heffner irgendwann mit seinem Vornamen anreden. Er ist jetzt ein Freund. Aber er ist nach wie vor sehr verschwiegen, wenn es um ihn selbst geht. Wir wissen nichts über sein Privatleben.
Ich selbst war ganz froh, wieder mehr Zeit zu haben. Ich brauchte sie, um die Geschichte des Guten Romans zu rekonstruieren, den ersten Teil der Geschichte, meine ich.
Van musste mir ganze Abende lang erzählen. Er hat sehr genaue Erinnerungen, vor allem, was die Gespräche angeht. Und er hatte vieles aufgehoben, Artikel, Notizen, alle Briefe, die Der gute Roman erhalten hat, die gehässigen und die anderen. Ganz zu schweigen von den elektronischen Daten, Mails, Kopien aus dem Forum, er hat jede Menge gespeichert. Die zeitliche Reihenfolge ließ sich leicht feststellen. Bislang dauerte die Geschichte ja erst drei Jahre.
Ansonsten habe ich kaum materielle Bedürfnisse, Van noch weniger – was insgesamt wirklich nicht viel ist –, aber die Mieten in Paris sind teuer, deshalb suche ich Arbeit. Wir müssen nicht zu zweit im Guten Roman zur Verfügung stehen. Es gibt nur eine Arbeit, die für mich nicht infrage kommt. Ich werde nicht in einer Buchhandlung arbeiten.
Gestern Abend sagte Van zu mir: »Ich habe nachgerechnet, ich habe keinen Sou mehr. Das verjüngt mich ungemein.«
»Finde ich auch«, gab ich fröhlich zur Antwort.
Wir waren gerade dabei, in unserer kleinen Küche Brot zu toasten. Ich liebe aufgebackenes Brot. Ich machte eine Vierteldrehung, legte Van die Arme um den Hals, drückte meine Wange an seine Brust und sagte: »Mir scheint, jetzt ist der Augenblick gekommen, dir die Frage zu stellen, die ich schon seit Langem auf dem Herzen habe: Darf ich um deine Hand anhalten?«
»Zu spät«, sagte er sanft.
»Was soll das heißen, zu spät?«
»Ich bin nur noch eine einzige große Müdigkeit, Anis. Francesca hatte etwas ganz Besonderes an sich, sie gab den Menschen in ihrer Nähe Möglichkeiten . Sie konnte ihrer Tochter nicht die Möglichkeit geben zu leben, doch den anderen gab sie die Möglichkeit, ihre Ambitionen umzusetzen. Nicht jeder konnte diese Möglichkeit nutzen, mancher wollte es auch nicht. Ich habe inzwischen den Eindruck, ich konnte es nur mit ihr zusammen: von ihr und ihren Hoffnungen angetrieben, von ihrer Überzeugungskraft, die vielleicht nur die Energie ihrer Verzweiflung war.«
Van hatte seine Arme nicht um mich gelegt. Das tat mir weh. Ich legte den Kopf in den Nacken, sah ihm fest in die Augen und schüttelte dann den Kopf. Ich glaube, dabei lächelte ich.
Ich sah Francescas Lächeln vor mir. Von ihr habe ich gelernt, dass der Unterschied zwischen Stärke und Schwäche gar nicht so groß ist.
Ich weiß jetzt auch, wie man jemandem den Hof macht, der nicht mehr an sich glaubt, man muss geduldig sein, zuversichtlich, auch wenn gar kein Grund zur Zuversicht zu bestehen scheint, und es kann lange dauern.
Außerdem ist mir noch eine Idee gekommen. Ich habe nur mit Armand Delvaux darüber gesprochen. Er fand sie nicht schlecht und will ihr nachgehen. Es steht außer Zweifel, dass die vom Guten Roman eingeführte Geschäftsvariante notwendig ist. Sie muss aufgegriffen
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