Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
man schon fast an der Zufälligkeit zweifeln. Man kann auch sagen, es sei Notwendigkeit gewesen. Die sich beharrlich immer wieder durchgesetzt hat, zumindest scheint es mir so, wenn ich jetzt über das nachdenke, was in den zwanzig Jahren geschah, bevor Der gute Roman eröffnet wurde.«
Heffner sah ihn an.
»Aber um genau zu sein«, fuhr Van nun fort, »als Francesca auftauchte und mir von ihrem Projekt erzählte, dachte ich eher, ein weiteres Kapitel meines wenig gradlinigen Lebens würde mit einem Scheitern enden. Und was ich ihr von meinem vorherigen Leben zu berichten hatte, klang auch nicht gerade nach einem: Mit mir können Sie nur gewinnen.«
»Das stimmt.« Francesca wandte den Kopf. Denn sie sprach mit Van, nicht mit Heffner, es war vielleicht nicht einmal für seine Ohren bestimmt. »Sie stellten sich als geborenen Verlierer hin. Aber Sie haben auch noch etwas anderes gesagt, woran ich mich ganz genau erinnere. Sie sagten, zum ersten Mal in Ihrem Leben würden Sie alles geben wollen, um Erfolg zu haben. Ich höre noch Ihre Worte: ›Ich habe fünfundzwanzig Jahre damit zugebracht, reinen Tisch zu machen, mit meinem Vater, mit denen, die über mich bestimmten, mit der Gesellschaft, ohne dass übrigens irgendein reiner Tisch dabei herausgekommen wäre, ich habe diese Jahre mit dem Versuch zugebracht herauszufinden, was ich mit mir anfangen soll – und mich damit selbst zerstört. Ich kann mir keine weitere Zeitverschwendung mehr erlauben. Ich bin vierundvierzig Jahre alt. Ich muss mich einer Sache widmen, die größer ist als ich, und zwar mit Erfolg.‹«
»Und Sie?«, fragte Van. »Wissen Sie noch, was Sie antworteten? Ich weiß es noch, wortwörtlich, Sie sagten: ›Um dasselbe etwas dümmlich auszudrücken, auch ich muss endlich etwas Gutes tun in meinem Leben.‹«
16
V an hatte sich schon lange vor diesem Gespräch am siebten Abend entschieden. Er hatte Francesca sein Jawort schon am ersten Abend gegeben – und Bono tags darauf das Kündigungsschreiben. Er blieb noch zehn Tage in der Buchhandlung, bis der von Bono gefundene Nachfolger anfangen konnte. Am zehnten dieser Tage sah er die finanzschwache Studentin aus dem Tal wieder.
So viele Ereignisse in einem einzigen Winter, er konnte es nicht fassen. Er sagte mir, am Tag darauf habe er sich zum ersten Mal in seinem Leben eine astrologische Zeitschrift gekauft, weil er wissen wollte, was die Sterne ihm für den Jahresbeginn verhießen. Doch die Sterne verhießen ihm in ihrer üblichen unverbesserlichen Allzumenschlichkeit und mütterlichen Sorge nur eine hartnäckige Angina.
In den Wochen vorher hatte Van täglich an die Studentin gedacht, und in seiner Ratlosigkeit, wie er sie kontaktieren könne, war er sogar auf den schließlich doch verworfenen Gedanken verfallen, einen Brief an die »Kleine Anis, Humanwissenschaftliche Fakultät – Soziologie –, Universität Grenoble« zu schicken. All seine Hoffnungen baute er auf den liebevollen Ton, in dem er sie zum Wiederkommen eingeladen hatte.
Und dann erschienen auf der Treppe, die in seinen Keller führte, braune Gummistiefel, gefolgt von einer Gabardinejacke, einem roten Schal und einem strahlend lächelnden Mund, der den folgenden, offensichtlich vorbereiteten Satz aussprach: »Guten Tag, Monsieur. Bitte sagen Sie mir die Titel aller Bücher einer jungen Autorin namens Noëlle Revaz.«
Van musste die Berge am Tag darauf verlassen, seine Koffer waren bereits gepackt. Francesca war schon eine Woche zuvor nach Paris zurückgekehrt. Als Ivan mit ihr telefonierte, um sich für seine vierundzwanzig Stunden Verspätung zu entschuldigen, erzählte er etwas von einem Abschied, den er nicht überstürzen dürfe.
Er hatte nach einer Formulierung gesucht, die nicht ganz und gar eine Lüge war – er würde doch nicht damit anfangen, Francesca irgendwelche Märchen aufzutischen. Dennoch dachte er am Tag darauf in den zwei Stunden, die er mit Anis in Grenoble verbrachte, mehrmals, dass es sich wohl nicht eigentlich um einen Abschied handle, sondern um das genaue Gegenteil, denn er versuchte, unbekümmert um den üblicherweise zu beachtenden Anstand, in aller Eile neue Bande zu knüpfen.
Anis hatte ihm angeboten, ihm die Altstadt von Grenoble zu zeigen. Die anhaltenden Graupelschauer luden jedoch nicht zu ausgedehnten Spaziergängen ein, sodass sie sich von Kneipe zu Kneipe bewegten und Vergleiche über den jeweiligen Geschmack des Grogs anstellten. Van wurde von Straße zu Straße gesprächiger. Unter
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