Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
Vom Netzwerk:
dem Siegel der Verschwiegenheit, aber mit unverhohlenem Enthusiasmus erklärte er ihr, warum er Méribel, Bono und den Bücherkeller verlassen würde und welch außergewöhnliche Möglichkeit sich ihm da bot, noch dazu dank einem Menschen, wie er nie zuvor einen kennengelernt habe. Anis sah ihn aus großen Augen an. Ein Traum, sagte sie leise, zwei oder drei Mal.
    Es wurde dunkel, Van warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
    »Nicht jetzt gleich«, sagte Anis. »Sie haben zu viel Rum im Blut, Sie dürfen noch nicht ans Steuer. Und ich muss an Ihnen noch einen Eingriff vornehmen. Kommen Sie, trinken wir zur Abwechslung einen Tee.«
    Sie setzten sich in die Ecke eines Cafés. Sie zog einen kleinen Stoffbeutel aus ihrer Tasche und sagte lächelnd: »Machen Sie sich frei.« Van zog seinen Parka aus, den Schal und seinen Pullover. Er wäre durchaus bereit gewesen, alles auszuziehen, doch Anis hob die Hand wie ein Verkehrspolizist. »Das reicht«, sagte sie.
    Sie holte eine große Nadel und ein bisschen marineblaue Wolle aus ihrem Beutelchen.
    »Immer wenn ich Sie sah, trugen Sie diesen Pullover«, sagte sie zu Van, während sie das gute Stück auf dem Tisch ausbreitete. »Und immer mit diesem Loch am linken Ellbogen. Ich habe Sie allerdings auch nur drei Mal gesehen, wenn ich heute mitzähle.«
    »Stört Sie das Loch?«, fragte Van. »Bono hat mir auch schon gesagt, mein Pullover sei löchrig. Ich wusste es und habe es nie bestritten, aber mir war nicht klar, warum das ein Problem sein sollte.«
    Sie unterhielten sich über die Kleidungsstücke, die man von allen offensichtlich am meisten mag, weil man sie immer wieder anzieht.
    »Wenn man nicht ständig Kontakt zu anderen Menschen hätte, würde man gar nichts anderes mehr anziehen«, sagte Anis.
    »Ganz gleich, wie verschlissen sie wären«, fügte Van hinzu.
    »Und ebendeshalb muss man hin und wieder aktiv werden. Sonst wird das Loch eines Tages zu groß oder der Riss zu breit. Und dann ist man zum Ausmustern gezwungen. Es gibt zwei Möglichkeiten, Sie haben die Wahl. Ich kann das Loch stopfen. Keine Sorge, es wird sich wieder bilden. Wenn Sie es in seinem derzeitigen Zustand mögen, kann ich es in dieser Form stabilisieren, indem ich den Rand verstärke.«
    »Füllen Sie die Leere«, sagte Ivan.
    Das junge Mädchen griff diese Bemerkung nicht auf. Sie sagt also nicht, die Leere wird sich wieder bilden, dachte Van.
    Er sah ihr zu. Sie war in drei Minuten fertig.
    »Wissen Sie, was Kunststopfen ist?« Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen.
    »Keine Ahnung.«
    »So stopfen, dass man hinterher nichts sieht. Hier, sehen Sie.«
    »Ich sehe nur das Gestopfte«, sagte Van. »Und ich will es gar nicht aus den Augen verlieren.«
    Er zögerte schon eine ganze Weile. Jetzt schien ein günstiger Zeitpunkt zu sein.
    »Kommen Sie mit mir nach Paris«, sagte er.
    Anis versteifte sich.
    »Nein. Das geht nicht.«
    »Was soll das heißen, das geht nicht?«
    »Man kann nicht einfach so über mich verfügen.« Anis schüttelte den Kopf.
    Sie war bleich geworden.
    »Wir könnten uns schreiben. Wollen Sie?«
    Sie zog einen Kassenzettel aus ihrer Tasche und schrieb etwas auf die Rückseite.
    »Da haben Sie meine Adresse.«
    »Sie erinnern mich an ein Märchen«, sagte Van. »Von der Prinzessin, die gelobt, ihr Hemd nicht mehr zu wechseln, bis ihr schöner Gemahl aus dem Krieg heimkehrt. Ich gelobe, diesen Pullover jeden Tag zu tragen, bis Sie zu mir nach Paris kommen.«
    Van sah Heffner offen an.
    »Ich erzähle Ihnen das mit gewissen Hemmungen«, sagte er. »Diese Vorliebe für alte Kleidungsstücke kann asozial wirken, in dieser Zeit des fast religiösen Konsumierens sogar subversiv. Aber Sie können leicht feststellen, dass Anis und ich in Kontakt geblieben sind und dass sie jetzt in der Buchhandlung angestellt ist. Ich nehme an, Sie werden sie überprüfen. Dann kann ich sie Ihnen gleich so vorstellen, wie sie ist, oder zumindest so, wie sie sich mir vorgestellt hat.«
    Subversives Verhalten, nun ja, vielleicht, dachte Heffner, wie er später gestehen sollte. Eher mütterlich besitzergreifend, sagte er sich, er hatte Manipulationen nie ertragen und reagierte überempfindlich auf diese sinnbildlichen Gesten weiblicher Macht. Er hatte die zierliche Hand vor Augen, die ihr Markenzeichen auf das Kleidungsstück nähte, als wäre es eine eingestickte Unterschrift. Er hörte eine helle Stimme sagen: Sie haben die Wahl, nachdem sie ihn vor diese Wahl gestellt hatte, entweder unterzeichne ich

Weitere Kostenlose Bücher