Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Verfügung. In der Etage darunter fingen gerade die Handwerker an. Es waren jedoch nur kleine Anpassungen nötig, nichts, was ihn daran gehindert hätte, oben bereits mit der Arbeit zu beginnen.
Ende Februar war das Komitee vollständig. Larry de Winter, Sarah Gesteslents und Gilles Évohé hatten ihre Antwort erst nach einer persönlichen Begegnung mit Ivan geben wollen. Francesca fand es erstaunlich, dass nur diese drei darum gebeten hatten. Von den zuerst kontaktierten acht Autoren hatte Van nur zwei Absagen bekommen: von Pierre-Alain Oslo, der mitten in einer Depression steckte und ins Telefon stöhnte: »Ich weiß nicht, was Schreiben bedeutet, ich habe seit vier Jahren nichts mehr geschrieben, und ich ertrage den Gedanken nicht mehr, dass andere geschrieben haben oder schreiben.« Und von Marthe Chavert, die sich weigerte mitzuarbeiten, weil man ihr die Zusammensetzung des Komitees nicht verraten wollte. »Ein Kollektiv ist ein Kollektiv«, sagte diese prinzipientreue Dame, die ihren Mao kannte. Die sechs anderen jedoch riefen zu Vans Verblüffung jede und jeder: »Die ideale Buchhandlung – diese Idee habe ich schon seit Jahren. Mein Traum!«
Was die beiden noch fehlenden anging, zögerten Francesca und Van nicht lange. Sie hatten bereits Zusagen von Paul Néant, Ida Messmer, Armel Le Gall, Sarah Gesteslents, Gilles Évohé und Larry de Winter. Und bekamen auch die von Jean Tailleberne und Marie Noir, die sie fast genauso sehr schätzten wie ihre acht Favoriten.
Ivan bat die Autoren, die zur Mitarbeit im Komitee bereit waren, ihm bis Anfang Mai eine Liste mit jeweils sechshundert Titeln auszuhändigen. Zugleich teilte er ihnen die Spielregeln mit: keinen Sou Bezahlung, keine sichtbaren Spuren ihrer Arbeit, denn ihr Name würde geheim gehalten und ihre Liste vernichtet, und nicht das geringste Recht auf Einsichtnahme oder Kontrolle, was die Arbeit der Buchhandlung anging. Ein unentgeltlicher, unsichtbarer und nie bestätigter Beitrag. Endlich etwas halbwegs Uneigennütziges, sagte de Winter.
Van, den Francesca im Hotel Louis II. in der Rue Saint-Sulpice untergebracht hatte, nutzte die wenigen relativ freien Tage zur Wohnungssuche. Im Rochechouart-Viertel fand er etwas nach seinem Geschmack: in der Rue de l’Agent-Bailly, einer erstaunlich ruhigen Gasse mit verborgenen Qualitäten. Diese ehemalige Sackgasse, gepflastert und gewölbt wie ein Eselsrücken, verbarg hinter ihren Toreinfahrten mehrere tiefe Höfe, ehemalige Klostergärten und Poststationen, die man in Paris nicht erwartet hätte.
Die einunddreißig zur Miete angebotenen Quadratmeter lagen im obersten Stock eines nicht weiter bemerkenswerten Gebäudes. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich, vor allem wenn man die Nordausrichtung bedachte, um ein ehemaliges Maleratelier, schlecht isoliert und ohne Heizung, dafür aber gab es ein großes Fenster mit Blick auf einen riesigen Ahorn und dahinter auf einen Ozean aus Ziegeln, Zink und Kaminen, den Van sofort auf den Namen Nordsee taufte.
Es wäre falsch zu behaupten, er habe, als er unmittelbar nach der Wohnungsbesichtigung den Vertrag unterschrieb, nicht an Anis gedacht. Denn was war sein erster Akt in der neuen Bleibe, gleich nachdem man ihm die Schlüssel übergeben hatte? Er zog eine Postkarte mit dem Bild der Place des Victoires aus seiner Aktentasche und schrieb: Es ist so weit, ich habe eine richtige Anschrift. Seit zwei Minuten wohne ich Rue de l’Agent-Bailly Nr. 6, Paris, 9. Arrondissement. Van fügte ein Postskriptum an: Der Schutzmann Charles Gaston Bailly ging 1901 in die Geschichte ein, weil er vergeblich versuchte, eine Frau vor dem Ertrinken zu retten. Im Internet habe ich nur das über ihn gefunden, aber das ist schon nicht schlecht.
Damit begnügte er sich in diesem ersten Brief. Er hatte durchaus verstanden, dass er gebeten worden war, weder autoritär noch zudringlich zu sein, und dass er keine Telefonnummer, sondern eine Adresse erhalten hatte.
Auch Francesca und Van telefonierten nicht miteinander. Sie litten unter derselben schwer zu begründenden Furcht, abgehört zu werden. Alles fing so schön an.
In der ersten Zeit sahen sie sich selten. Francesca ließ Van freie Hand, er konnte alles nach seinem Gutdünken regeln. Sie verlangte keinerlei Rechenschaft von ihm. Sie hatte ihm das große Büro im ersten Stock überlassen. Doch Van bemerkte bald, dass sie jeden Tag am späten Vormittag in der Buchhandlung vorbeischaute, um den Fortschritt der Arbeiten zu
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