Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Art, sich zu kleiden. Im Grunde ist es ihm ziemlich egal, was die oder der andere anhat.«
»Er wird aber doch wohl für Ihre Eleganz nicht unempfänglich sein?«
»Ich glaube nicht, dass er dafür empfänglich ist. Er dürfte sie normal finden. Alle Frauen in unseren Kreisen sind elegant. Eigentlich sieht er mich nicht oft an. Ich will offen sein: Wir sehen uns nicht oft.«
Die Wohnung in der Rue de Condé war sehr prächtig, vier Meter hohe Decken, Wandteppiche und schöne Möbel. Als Van in den Vorraum trat, dankte er Francesca innerlich dafür, dass sie ihn nicht früher hierher eingeladen hatte. Er überlegte, wie viel Distanz diese Umgebung zwischen ihnen geschaffen hätte – eine Distanz, die sie nur mit viel Geduld hätten überbrücken können und die jetzt bereits überbrückt war.
Schon führte ihn Francesca in einen kleinen Salon, der so behaglich und familiär war, dass er fast banal wirkte. Henri Doultremont war bereits da. Er ersparte seinem Gast die Nummer des überarbeiteten Geschäftsmanns, der klarstellt, dass er nur ausnahmsweise von seinem vollen Zeitplan abgewichen ist. Er erzählte Van nichts von seinem Leben und fragte auch nicht nach Vans Leben.
Von der Wohnung, die er sich riesig vorstellte, sah Ivan nur diesen kleinen Salon und ein Esszimmer, von dem er vermutete, dass es ebenfalls das kleine war, neben einem anderen, großen. Francesca hatte ein einfaches Essen vorgesehen. Sie selbst brachte einen Portwein und servierte danach das kalte Abendessen, das auf einem Teewagen bereitstand.
Doultremont war keineswegs unkultiviert. Noch vor dem Essen berichtete er mit einiger Wärme davon, wie er im Winter zuvor Kipling entdeckt habe und wie sehr er die Indischen Erzählungen bewundert habe. Das fand Van eigentlich gar nicht konventionell. Wie konventionell es auch am Ende des 19. Jahrhunderts gewesen sein mochte, zu Beginn des 21. Jahrhunderts war es geradezu exzentrisch.
Francesca schlug vor, zu Tisch zu gehen. Sie setzten sich, und Doultremont sagte: »Reden wir lieber über diese Buchhandlung.«
Van und Francesca sahen sich an.
»Nur zu«, sagte sie.
»Die Dinge entwickeln sich ungefähr so wie geplant«, sagte Ivan. »Mich wundert, wie freundlich dieses Projekt aufgenommen wird.«
»Sie haben also ganze zehn Personen eingeweiht?«, fragte Doultremont.
»Wie meinen Sie das?«
Was der Geschäftsmann meinte, war, dass Francesca und Van natürlich bei den paar gleichgesinnten Literaturverrückten Zustimmung finden würden, dass aber echter Erfolg etwas ganz anderes sei.
Es gebe da noch viele Unbekannte. Wie viele Menschen würden eine solche Buchhandlung wirklich unterstützen? Und gebe es in Paris genug von diesen Menschen? Und die anderen, wie sollten die mobilisiert werden? Wie groß sei die Kaufkraft beider Gruppen zusammengenommen? Anders gesagt, wie viele Bücher würden sie pro Jahr in der Buchhandlung kaufen? Und würden sie treu bleiben?
»Wie sollen wir das anders herausfinden als durch die Umsetzung in die Tat?«, wandte Van ein.
Doultremont bezweifelte, dass eine herkömmliche Buchhandlung zeitgemäß sei. Seiner Ansicht nach lag die Zukunft im Online-Vertrieb.
»Diese beiden Vertriebsarten schließen einander nicht aus«, sagte Van. »Francesca hat es Ihnen sicher schon erzählt. Natürlich haben wir vor, eine Website ins Netz zu stellen und auch übers Internet zu verkaufen. Ich wollte diesen Geschäftszweig jetzt im Sommer aufbauen.«
Francesca hörte ihm verblüfft zu. Es war das erste Mal, dass Van diese Frage in ihrer Gegenwart anschnitt.
»Wir nehmen Online-Bestellungen an und schicken die Bücher dann zu«, sagte er, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. »Diesem Vertriebsweg kann sich eine Buchhandlung heute nicht mehr verschließen.«
Seine Stimmlage änderte sich.
»Aber natürlich wird unsere Besonderheit unser Katalog sein. Dieses ganz besondere Sortiment wird unser Image ausmachen, sowohl im Internet als auch in der Rue Dupuytren. Im Grunde streben wir eine Umkehrung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage an. Nicht die Nachfrage soll bestimmend sein, sondern das Angebot. Das Wissen, dass er bei uns ein besonderes Angebot an Romanen vorfinden wird, soll für den Kunden ein ebenso guter Grund für sein Kommen sein wie die Absicht, ein bestimmtes Buch zu kaufen. Das Internetverhalten folgt dann einer analogen Geisteshaltung.«
»Des Vertrauens«, ergänzte Francesca.
Doultremont erwärmte sich zusehends für das Thema.
»Der
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